Furioser Spagat zwischen Hoch- und Subkultur

Erinnerung an Filmkomponist Erwin Halletz
(12. Juli 1923 – 27. Oktober 2008)

von Marc Hairapetian



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Erwin Halletz war ein Komponist der Extreme. Nicht in qualitativer Hinsicht (die stimmte bei ihm immer), sondern was den Spagat zwischen Hoch- und Subkultur, A- und B-Filmen anbelangte. So schuf er für G. W. Pabsts mit Burgtheatergrößen besetztes Endzeitdrama „Der letzte Akt“ (1955) einen zwar dosiert, aber in jeder Hinsicht aufwühlenden symphonischen Soundtrack, dessen flirrende Streicher die Bombeneinschläge im Führerbunker genauso unterlegten wie Oskar Werners legendäre Sterbeszene, in der dieser als Hitler-feindlicher Ritterkreuzträger mahnt: „Seid wachsam. Sagt nie wieder: ‚Jawohl!’“ Andererseits gab Halletz’ mitreißende Titelmusik zu Rolf Olsens Rotlicht-Thriller „In Frankfurt sind die Nächte heiß“ (Österreich 1966) mit unverschämt sonoren Posaunen, lasziven Mundharmonikaklängen und hämmernden Beat die deutschsprachige Antwort auf John Barrys „James Bond“-Thema.
Provokante Genres und Themen waren dem am 12. Juli 1923 in Wien geborenen Vollblutmusiker nicht fremd: Er vertonte Veit Harlans unterschätztes Melodram „Anders als du und ich“ (1957), der hierzulande als erster Nachkriegsfilm das Thema Homosexualität aufgriff, ebenso wie „Shocking Asia – Sünde, Sex und Sukiyaki“ (1974), Rolf Olsens sensationslüsterne Dokumentation über Geschlechtsumwandlungen im Fernen Osten. Doch Halletz schrieb auch Schlager für Trude Herr („Weil ich so sexy bin“), Gus Backus („Sauerkrautpolka“) und sogar Louis Armstrong („Uncle Satchmo’s Lullaby“).
Der Absolvent der Wiener Musikakademie im Fach Klarinette spielte anschließend bis kurz vor Kriegsende in Kurt Graunkes Unterhaltungsensemble der Wehrmacht. Im April 1945 wurde Halletz von der sowjetischen Kommandantur in ein Orchester zur musikalischen Truppenbetreuung verpflichtet. Ein Jahr später avancierte er zum ersten Geiger im Wiener Tanzorchester von Horst Winter, für das er auch komponierte, sang und Saxophon spielte. 1950 übernahm er dann die Leitung des WTOs.
Zum Kino kam Halletz 1953 durch Franz Antels Komödie „Ein tolles Früchtchen“. Insgesamt schuf er rund 120 Filmmusiken. Aus der Feder des Lieblingskomponisten des österreichischen Regie-Enfant Terribles Rolf Olsen stammt mit Robert Siodmaks Zweiteiler „Der Schatz der Atzteken“/“Die Pyramide des Sonnengottes“ (1965) die wohl beste Musik, die jemals für einen Karl-May-Film geschrieben wurde. Rasante Rhythmus- und Dynamikwechsel, unorthodoxe Arrangements und glutvolle Leidenschaft kennzeichnen fast all seine Kompositionen.
1961 ging Halletz, der zahlreiche Schallplattenaufnahmen einspielte, für ein schließlich 41 Jahre andauerndes „Gastspiel“ nach Monaco. Dort wurde er nämlich Dirigent des Monte Carlo Light Symphony Orchestra. Ab 1979 war er zusätzlich als Musikchef beim Eistheater Berlin tätig. Seinen letzten TV-Soundtrack lieferte er 1990 mit „Die Kaffehaus-Cique“ ab. Regie führte mit Franz Antel sein erster Regisseur. Der Kreis schloss sich. Seit 2002 lebte der sympathisch-humorvolle Künstler und Familienmensch wieder ausschließlich in Wien, wo er am 27. Oktober 85jährig verstarb.
Ich hatte die Ehre und das Vergnügen, Erwin Halletz 1994 bei einem Wien-Besuch kennen zu lernen. Wir trafen uns - wie auch vier Jahre später - im Café Landtmann gegenüber vom Burgtheater. Hinter der dicken Hornbrille lächelte es einem verschmitzt entgegen. Der hoch gebildete Gentleman und Frauenversteher, der glücklich mit einer Griechin verheiratet meiner weiblichen Begleitung (keinesfalls anzügliche) Komplimente machte, interessierte sich sehr für das von mir herausgegebene Kulturmagazin SPIRIT – EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de und abonnierte es später sogar. Bereitwillig stand er sehr selbstkritisch Rede und Auskunft über seine damals schon ein halbes Jahrhundert umfassende Komponistenkarriere, wobei er rückblickend die Zusammenarbeit mit G. W. Pabst bei „Der letzte Akt“ als seine größte Herausforderung sah. Als großer Bewunderer von Oskar Werner, den er persönlich recht gut gekannt hatte, schickte er mir später sogar das ORF-Porträt des unbestechlichen Schauspieler-Genies „Ich über mich“ sowie dessen besten Film „Das Narrenschiff“ als VHS-Kassette. Er war allerdings ein noch größerer Verehrer von Audrey Hepburn. All ihre Filme hatte er gesammelt und liebte besonders „Ein Herz und eine Krone“ sowie „Sabrina“. Im April 1998 überbrachte er mir bei unserem Wiedersehen eine traurige Nachricht: Einer seiner besten Freunde, der Trash-de-Luxe-Regisseur Rolf Olsen, war gerade gestorben: „Obwohl er ein Choleriker war und am Set andauernd herumschrie, konnte er sehr charmant sein.“ Das Drehbuch zum Hamburg-Krimi „Wenn es Nacht wird auf der Reepebahn“ (1967), zu dem Halletz mit einem bombastischen Jazzpop-Soundtrack begeisterte, hätte Olsen extra für Hauptdarsteller Erik Schumann geschrieben. Man merkte Halletz an wie sehr er seinen alten Spezi Olsen vermisste.
Zu meinem Geburtstag überraschte er mich mit einem Päckchen, in dem eine Musikkassette mit dem Titelstück aus „In Frankfurt sind die Nächte heiß“ steckte. Damals war seine wohl furioseste Komposition noch nicht auf CD erschienen und er hatte kurzerhand eine Überspielung vom Masterband gezogen. Als ich um meinen ersten Hund Habibi, der schwer erkrankt war, bangte, schrieb er mir einen sehr mitfühlenden Brief: „Ich habe Kinder und Hunde – kein Vergleich.“ Für ihn war - wie es Victor Hugo einmal treffend formulierte - der Hund die Tugend, die sich nicht zum Menschen machen konnte. Auch im neuen Jahrtausend standen wir im Briefkontakt. Sein eigener Lieblingsfilmkomponist war Ennio Morricone: „Ende der 1960er Jahre hat er mich maßgeblich beeinflusst.“ Dabei war Halletz schon Jahre zuvor selbst als filmmusikalischer Innovator auffällig geworden. Zusammen mit dem 2002 verstorbenen Hans Posegga und Peter Thomas gehört er zu den größten deutschsprachigen Filmkomponisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Für ihn gab es nicht die Trennung zwischen U- und E-Musik – und deswegen hatte er nicht nur die Annerkennung eines konservativen Publikums, das seine im Fernsehen ausgestrahlten „Sonntagskonzerte“ goutierte. Nein, Halletz wird auch über seinen Tod hinaus auch von der Nachfolgegeneration der Retro- und Easy-Listening-Welle, deren Anhänger noch nicht einmal geboren waren, als er seine größten Erfolge feierte, geliebt.


Marc Hairapetian


In der Reihe „Deutsche Filmkomponisten“ ist als achte Folge (BCD 16488 AR) bei Bear Family Records eine mit 38 Titeln sehr umfangreiche CD-Compilation der Kinoarbeiten von Erwin Halletz erschienen.