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Meister des expressionistischen Realismus

Zum Tod des schwedischen Kameramanns Gunnar Fischer (1910 - 2011)

von Marc Hairapetian

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Größere Ansicht anzeigen Gunnar Fischer, der am 11. Juli im biblischen Alter von 100 Jahren verstarb, prägte als Kameramann das letzte Jahrhundert wie kaum ein anderer seiner schwedischen Landsleute - mit Ausnahme vielleicht von Sven Nykvist, der sein Nachfolger bei Filmemacher Ingmar Bergmann wurde. In der Schwarzweiß-Fotografie machte ihm keiner etwas vor. Sein monochromer Look war stilbildend. Er selbst nannte Gregg Toland als Vorbild, der in „Citizen Kane“ (1941) Schauspieler sowohl im Vorder- wie auch Hintergrund gestochen scharf erfasste. Fischers Hauptaugenmerk lag im Spiel von Licht und Schatten, das auch seinem realistischsten Arbeiten immer einen Hauch von Expressionismus verlieh.

Der am 18. November 1910 im schwedischen Ljungby geborene Bilderstürmer studierte zunächst Malerei in Kopenhagen, wo er auch Regisseur Carl Theodor Dreyer kennen lernte, für den er 1945 „Två människor“ als Chefkameramann ablichtete. Zuvor hatte er bereits ab Mitte der 1930er Jahre Julius Jaenzon assistiert, der Victor Sjöströms Filme fotografierte. Die Kooperation mit Ingmar Bergman, die 1948 mit „Die Hafenstadt“ begann, bescherte beiden internationale Anerkennung. Ein erstes Meisterwerk der Bildgestaltung war 1951 „Einen Sommer lang“, indem Fischer in Rückblenden bei allen ausgelassenen Urlaubsszenen um ein junges Pärchen (May-Britt Nilsson, Birger Malmsten) mit Hund die Tragik des tragischen Unfalls des jungen Mannes anhand düsterer Wolkenkonstellationen vorweg nimmt. Weitere Bergman-Sommer-Streifen folgten: „Die Zeit mit Monika“ (1953), der die ungezügelte Harriet Andersson weltberühmt machte, und das zwischen Schnitzler- und Strindberg lavierende Lustspiel „Das Lächeln einer Sommernacht“ (1955). Im Jahr 1957 folgten die beiden vielleicht besten Bergman-Fischer-Filme, die in unterschiedlicher Manier die Frage nach dem Sinn des Lebens stellen: „Wilde Erdbeeren“, indem Regisseur Victor Sjoström einen von Alb- und Tagträumen geplagten Medizinprofessor verkörpert, und das Mittelalter-Epos „Das siebende Siegel“. Unvergesslich sind die die Szenen des Schach-Duells zwischen dem Ritter Block (Max von Sydow) und dem Tod (Bengt Ekerot) und das Scherenschnitt artig fotografierte Finale als Totentanz am Hügel, bei dem die Pest in Gestalt des Sensemanns den Edelmann und seine Gefolgsleute ins Land der Finsternis führt.

Mit der nicht gänzlich gelungenen Komödie „Das Teufelsauge“ endete 1960 die Zusammenarbeit von Fischer und Bergmann, die sich ohnehin nie gegenseitig mit Komplimenten überschütteten, sondern immer mit „offenem Visier“ mit- und füreinander kämpften. Bevor sich der Schwarzweiß-Spezialist 1979 nach „Don Juan“ aus dem Geschäft zurück zog, um an schwedischen Universitäten Filmlichtgestaltung zu lehren, fotografierte er noch drei bemerkenswerte Produktionen . Alf Kjellins „Lustgarten“, „Arne Sucksdorffs „Die Wilderer vom Teufelsmoor“ (beide 1961) und Vilgot Sjömans einstiges Skandal-Sozialdrama „491“, das in bewusst tristen Bildern, die „,die eine Sünde zuviel, die Gott nicht vergibt“ zeigt. Der Film über schwer erziehbare Jugendliche deutete damalige Tabuthemen wie Nymphomanie, Homosexualität und Sodomie an und wurde 1964 aufgrund von Protesten aus dem Programm der Berlinale verbannt. Danach arbeitete Fischer zumeist für das Fernsehen („Das Gold am Krähenberg“, 1969), so auch zusammen mit seinem Sohn Jens für Jacques Tatis letztes Werk „Parade“ (1974). Gunnar Fischer, der 2003 den schwedischen Filmpreis „Guldbagge“ für sein Lebenswerk erhielt, starb jetzt an Altersschwäche in Stockholm.

Marc Hairapetian (SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de)