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Nordlicht mit südländischem Temperament

Zuhause in allen Genres: Zum Tod des Schauspielers Heinz Reincke (1925 - 2011)

von Marc Hairapetian

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Heinz Reincke war ein Vollblutschauspieler, der in vielen Genres zuhause war. Die Unterscheidung zwischen Hoch- und Subkultur scherte ihn wenig. Bei all seinen Film-, Fernseh-, Theater-, Hörfunk, Synchron- oder Rezitations-Auftritten gab er immer 100 Prozent und manchmal sogar noch ein bisschen mehr. Das am 25. Mai 1925 in Kiel als Karl-Heinz Reincke geborene „Nordlicht“ mit Faible für Felix Austria (seit 1970 besass er zudem die österreichische Staatsbürgerschaft) versuchte sich zunächst als Lehrling der Handelskammer, bis er sich mit 17 Jahren der Bühne verschrieb. Über Landsberg an der Warthe (1943), Zoppot, das Sommertheater Minsk (beide 1944), Schleswig (1948), Bonn (1949) und Stuttgart (ab 1950) gelangte er 1955 schließlich an das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg, wo er unter der Intendanz von Gustaf Gründgens große Charakterrollen spielte und als Frosch in der legendären „Faust“-Theaterverfilmung (1960) mitwirkte. Später brillierte er zudem am Wiener Burgtheater (1968 - 1985). Reincke, der als Bassbariton auch als Sänger von Seemannsliedern Erfolge feierte, machte über 100 Kino- und Fernsehverfilmungen. Sicherlich kein schöner Mann, besaß er bei allem beinahe südländischem Temperament doch auch ungeheures Zartgefühl. Ein Höhepunkt seiner Schauspielkunst war sein nach dem Tod von Frau und Kind gescheiteter Arzt„Nichtraucher“ in Werner-Jacobs‘ Adaption von Erich Kästners „Das fliegende Klassenzimmer“ (1973): Die Wiedersehensszene zwischen ihm und seinem alten Schulfreund Justus in Gestalt von Joachim Fuchsberger ist ergreifend, aber ohne jegliche Sentimentalität.

Nach seinem Spielfilmdebüt in „Ein Herz kehrt heim“ (1956) war er in Hollywood-Filmen, meist als deutscher Soldat („Der längste Tag“, 1961) oder opportunistischer Nazi („Die Brücke von Remagen“, 1968), zu sehen. Aber auch Edel-Trash-Streifen bereicherte er mit seiner Präsenz: So war er einer der beiden Überlebenden in dem verblüffenden Ende, des ansonsten knallharten „Himmelfahrtskommando El Alamein“ (1968). Unvergessen auch sein Straßenanimateur, der schwarze US-Navy-Soldaten in den „Piff, Paff, Puff“ locken will, in Rolf Olsens Remake von „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ (1969). Dem neuen deutschen Film war Reincke ebenfalls nicht abgeneigt: Starke Auftritte hatte er in Edgar Reitz‘ „Die Reise nach Wien“ und in Ottokar Runzes „Der Lord von Barmbeck“ (beide 1973). Nach Ausflügen ins Soft-Erotik-Genre („Hurra, die Schwedinnen sind da“, 1977; „Das Love-Hotel in Tirol“, 1978) lieh er 1984 dem Drachen Fuchur in Wolfgang Petersens „Die unendliche Geschichte“ seine markante Stimme. Von 1987 bis 2010 begeisterte er das Publikum als raubeiniger Pastor Eckholm in der beliebten TV-Serie „Der Landarzt“. Mit seiner 2004 verstorbenen Kollegin Antje Weisgerber, mit der er sehr befreundet war, gehörte er also von Anfang an zum Team - und erlebte als einzige Hauptfigur alle drei bisherigen „Landärzte“ (Christian Quadflieg, Walter Plathe und Wayne Carpendale). Der „Mann der ersten Stunde“, der auch mit seinen norddeutschen „Heimatgeschichten“ äußerste Beliebtheit erlangte, spielte übrigens die Hauptrolle in der ersten deutschen Fernsehserie, die komplett in Farbe ausgestrahlt wurde: „Adrian, der Tulpendieb“ (1966). Heinz Reincke, der bis zuletzt mit seiner dritten Ehefrau Elfie Petsch zusammenlebte, starb am 13. Juli an den Folgen von Lungenkrebs in der Nähe von Wien.

Marc Hairapetian (SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de)