Warum der unvergessene Wiener Schauspielergenius über 300 lukrative Rollenangebote als „Verrat am künstlerischen Geschmack“ ablehnte und der vielleicht größte Film aller Zeiten nie zustande kam

Oskar Werner Liste

von Marc Hairapetian

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„Wenn jemand gut ist und ein Nazi, dann ist er nicht intelligent. Wenn jemand intelligent ist und ein Nazi, dann ist er nicht gut. Und wenn jemand gut und intelligent ist, dann ist er kein Nazi.“ Mit dieser „arithmetischen Gleichung“ lehnte der österreichische Schauspieler und Regisseur Oskar Werner (13. 11. 1922 – 23. 10. 1984) Ende der 1960er Jahre auch nach der Verdreifachung der Gage das Angebot ab, in Stanley Kramers „Das Geheimnis von Santa Vittoria“ einen „guten Nazi“ zu mimen, und dies, obwohl er zuvor unter der behutsamen Inszenierung seines Lieblingsfilmregisseurs mit der Verkörperung des melancholischen Schiffsarztes Dr. Wilhelm Schumann in „Das Narrenschiff“ (1964/65) einen triumphalen Erfolg gefeiert hatte, der ihm eine Oscar-Nominierung als Bester Hauptdarsteller und den New Yorker Kritikerpreis eingebracht hatte. Doch der Wiener Theatergott, der ein internationaler Filmstar wurde, war unbeirrbar in seinem Berufsethos. Er nahm nur Rollen an, mit denen er sich identifizieren konnte. Dem flachsblonden, auch im zunehmenden Alter jugendlich wirkenden Schauspielergenius und Frauenschwarm, der mit der ihm [zu][?] eigenen Mischung aus Charme, Weichheit und Entschlossenheit sowie einer ungeheuer nuancenreichen Sprachmelodik auch über zwei Jahrzehnte nach seinem Tod von seinen Anhängern kultisch verehrt wird, waren der „Adel des Geistes und die Qualität des Gefühls“ wichtig. Der selbst zerstörerische Feingeist, der am Ende seines Lebens seine manische Depressivität, mit immensem Alkoholkonsum ertränkte und 1984 einsam kurz vor Beginn einer Rezitationstournee in einem Hotel in Marburg an der Lahn starb, wusste: „Unser Charakter ist unser Schicksal“. Durch seine auf CD erschienenen atemberaubenden Lesungen klassischer Dichtkunst wird er jetzt von der Jugend wiederentdeckt, und pünktlich zu seinem 85. Geburtstag widmete ihm die italienische Schriftstellerin Liaty Pisani in ihrem bei Diogenes ins Deutsche übersetzen Kriminalroman „Das Geheimnis der Signora“ gleich mehrere Kapitel. Oskar Werners Credo lautete: „Zwei Luxusartikel habe ich mir immer geleistet: Zeit und Charakter.“ Dies imponierte nicht nur Spencer Tracy, der ihn als“ größten Schauspieler überhaupt“ bezeichnete, und Marlon Brando, der sich seine Sterbeszene in „Der letzte Akt“ (1955) 24 Mal hintereinander vorführen ließ, sondern auch noch lebenden Hollywood-Legenden wie Jack Nicholson und Clint Eastwood, die sich als „Oskar-Werner-Fans“ outen und fast alle seiner nur wenigen, aber dafür durch die Bank charismatischen Spielfilmauftritte gesehen haben. Dabei hätten es bedeutend mehr als 25 realisierten sein können. Über 300 lukrative Rollenangebote (davon mehr als die Hälfte aus Hollywood) lehnte Oskar Werner aus „Verrat am künstlerischen Geschmack“ ab: An Michelangelo Antonionis Meisterwerk „Blow Up“ (1966), bemängelte er das Drehbuch, so dass der italienische Regiemaestro anstelle seines Wunschschauspielers notgedrungen auf David Hemmings zurückgreifen musste, der Werner ähnlich sah. Robert Wises Erfolgs-Musical „The Sound of Music - Meine Lieder, meine Träume“ (1965) tat er als „Schund“ ab. Für die „Traumfabrik“-Version der österreichischen Trapp-Familie, die singend die USA erobert, übernahm Christopher Plummer den für Werner vorgesehen Part des kinderreichen Hauptmanns. In „Die Nacht der Generäle“ (1967) von Anatole Litvak, dem Filmemacher, der ihm 1951 als „ehrbarer Verräter“ Happy mit dem wohl einzigen neorealistischen Hollywood-Spionagedrama „Entscheidung vor Morgengrauen“ den weltweiten Durchbruch beschert hatte, sagte er die Rolle des psychopathischen Wehrmachtgenerals Tanz ab – Peter O’Toole sprang für ihn ein. Bei Luchino Viscontis opulenten Historien-Melodram „Ludwig II.“ (1972) weigerte sich der „Unbestechliche“ (diesen Hofmannsthal-Titel zog Werner dem „Schwierigen“ vor), Richard Wagner zu spielen: „Ich habe es abgelehnt, weil ich Richard Wagner hasse wie die Pest... Wenn es ein Genie des Kitsches gibt – was in sich schon ein Widerspruch ist – dann ist es Wagner. Meine Bedingung für den Part war, Wagner so zu spielen, wie er wirklich war: ein o-beiniger Sachse, der ein richtiger Schweinehund war und alle Leute ausgenutzt hat.“ Trevor Howard spielte dann den Komponisten. Und Hans-Jürgen Syberbergs „Karl May“ (1974) schmetterte der Burgschauspieler, dessen „Don Carlos“ 1955 als „Jahrhundert-Ereignis“ gefeiert wurde, mit den vernichtenden Worten „Ich spiele Shakespeare, nicht Karl May“ ab. Syberberg war indes nicht beleidigt. Voller Stolz erzählt er noch heute, dass Werner sich immerhin schriftlich die Mühe gemacht hätte, ihm auseinanderzusetzen, warum der Film nichts für ihn wäre. Das ging so weit, dass er Stanley Kramer und dem Drehbuch-Autoren Ben Maddow von „Das Geheimnis von Santa Vittoria“ (1969) einen mehrseitigen Brief schickte, indem er ausführlich darlegte, was an der Charakterisierung der Figur alles falsch wäre. Besonders „lächerlich“ fand er den Namen des „guten Nazis“ Sepp von Prum. Hardy Krüger hatte später damit keine Probleme. Oskar Werners von ihm selbst zusammengestellte, für das „Guinness-Buch der Rekorde“ verdächtige Liste der über 300 abgelehnten Filmrollen war 1993/1994 in den ihm gewidmeten Ausstellungen in Salzburg und Schloss Grafenegg bei Krems zu bestaunen. Doch seine Gründe waren nicht ausschließlich intellektueller Natur. Sein Mitwirken in „ A Little Nightmusic“ (1978), wofür immerhin Ingmar Bergman das Drehbuch verfasste, cancelte er, weil er Elizabeth Taylor eine „fade Powidl“ fand. Für seine im September 2004 verstorbene Schauspielkollegin und große Liebe Antje Weisgerber, mit der von 1970 bis 1979 liiert war, sagte er hingegen, um ihr auch bei ihrer Theatertournee nahe zu sein, drei Filmangebote ab: „Er hatte immer seine eigenen Ideen. Am ersten Tag war es wunderbar, und am zweiten war dann schon der große Krach da.“, erinnerte sich die Grande Dame des deutschsprachigen Theaters. Bei „Columbo: Playback“ (1974) hatte Werner sich in den ersten Drehtagen derart mit dem Produzenten Everett Chambers überworfen, dass Peter Falk tatsächlich vor ihm niederkniete und ihn beschwor: „Oskar, jetzt bist du hier, jetzt tu es. Mach es mir zuliebe.“ Werner blieb, aber doch nur unter der Auflage, dass der Produzent während des Drehs die ganze Zeit nicht das Atelier betreten durfte. Antje Weisgerber sah in ihm im „den größten Egozentriker, nicht Egoisten“, den sie je gekannt habe: „Egozentriker in dem Sinne, dass er das ganze Weltleiden auf sich bezogen hat. Er war absolut zuverlässig, ehrlich und wahrhaftig. Die ganze Welt ging im Grunde von ihm aus. Er hatte ein goldenes Herz und so rührende Züge. Im privaten Umgang kannte er keine Arroganz. Gerade mit den einfachen, einheimischen Leuten in seinem selbst gewählten Refugium in Liechtenstein verstand er sich blendend und war wie einer der ihrigen.“ Gründe für seine manische Depressivität, die seine Streitlust hervorrief, sah sie in einer Trümmerverschüttung im Zweiten Weltkrieg, bei der er mehrere Tage lebendig begraben war. Vor den Augen der Studiobosse von 20th Century Fox zerriss Oskar Werner 1952 seinen Siebenjahresvertrag, weil er sich nicht mit Pin-up-Girls fotografieren lassen wollte. Legendär ist auch sein Krach mit François Truffaut beim Science-Fiction-Klassiker „Fahrenheit 451“ (1966), indem er – der die Reichskristallnacht noch als Kind hautnah miterlebt hatte - die Bücherverbrennungsszenen als zu „geschmäcklerisch“ abtat. Es gab auch Projekte, die er gern gemacht hätte und die aus finanziellen Gründen nicht zustande kamen: „Der Mann, der Hitler hinterging“ von Otto Preminger wäre für den überzeugten Pazifisten und Nazi-Verächter erneut Anlass gewesen, „das andere Deutschland“ zu verkörpern. „Die Reise des G. Mastorna“ hätte er Federico Fellini, der ihn nur zärtlich „Oskarini“ nannte, zuliebe gemacht. Werners eigene Drehbücher zu „Der andere Narr“ blieben genauso unrealisiert wie die Dürrenmatt-Adaption „Die Physiker“, für die er Stanley Kramer als Regisseur vorgesehen hatte und zusammen mit Peter Ustinov und Dany Kaye spielen wollte. Und dann war da noch eines der ehrgeizigsten Kinoprojekte, das nie das Licht der Leinwand erblickte: „Napoleon“. Was wäre das wohl für ein Film geworden? Oskar Werner als Bonaparte in der Titelrolle, als Regisseur kein Geringerer als Stanley Kubrick! „Nebenrollen“ für Audrey Hepburn, Vanessa Redgrave, Peter O’Toole, Alec Guinness, Jean-Paul Belmondo. Ein Vier-Stunden-Epos, das mit einer Aufnahme von Napoleons Teddybär anfängt und aufhört. Dies enthüllt ein euphorisch geführter Briefwechsel aus dem Jahr 1968 zwischen den beiden unbeugsamen Perfektionisten Stanley Kubrick und Oskar Werner, den Wernerrs Sohn Felix Florian im Nachlass seines Vaters fand und der bei der noch rund um den Globus ziehenden Kubrick-Wanderausstellung zu sehen ist. „Stanley interessierte, warum ein Mann, der so genial wie Napoleon war, auf einmal scheiterte. Und dafür wäre ein so intelligenter und empfindsamer Schauspieler wie Oskar Werner eine großartige Möglichkeit gewesen.“, meint Kubricks Schwager und rechte Hand Jan Harlan. Das Projekt selbst scheiterte daran, das Sergei Bondartschuks aufwändiger „Waterloo“-Film (1970) selbiges Desaster an den Kinokassen erlebte und MGM seine Gelder für ein derartiges Mammutspektakel zurückzog. So wechselte Kubrick zu Warner Brothers und drehte für das bescheidene Budget von 2,5 Millionen Dollar „Uhrwerk Orange“ (1970/71). Ein Film, den Oskar Werner zwar „fabelhaft gemacht“ fand, aber mit dessen expliziter Gewaltdarstellung er Probleme hatte, wie Felix Werner, der nun als zwischen Hollywood und der Schweiz hin und her pendelnde Independent Producer von Werner Film das künstlerische Erbe seines Vaters hinter der Kamera angetreten hat, zu berichten weiß: „Er glaubte daran, dass man als Schauspieler Verantwortung für sein Publikum hätte.“ Deswegen lehnte er auch - typisch Oskar Werner - Kubricks späteres Angebot ab, in „Barry Lyndon“ (1973 – 1975) aufzutreten. Alle Zitate über Oskar Werner entstammen Gesprächen, die der Verfasser mit dessen Schauspielkollegen, Freunden und Verwandten geführt hat. Marc Hairapetian ist Herausgeber des Kulturmagazins SPIRIT – EIN LÄCHELN IM STURM : www.spirit-fanzine.de, Mitautor von „Oskar Werner – Das Filmbuch“ (Hg. Raimund Fritz, Filmarchiv Austria, Wien 2002, 24.90 Euro) und schreibt derzeit an der umfangreichen Biografie „Oskar Werner – Genie zwischen Tag und Traum“. Weitere Informationen über den „Unbestechlichen“ unter www.oskarwerner.com und www.oskarwerner.de.vu

Marc Hairapetian stand 1998 mit Ulrich Mühe in Jörg Grünlers Thriller „36 Stunden Angst“ vor der Kamera.



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