Qualtinger – Versuch einer Defintion

Von Alfred Dorfer



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Schon zu Lebzeiten tat man sich mit der Klassifizierung Helmut Qualtingers schwer. Multifunktionale Künstler waren und sind in der höfisch strukturierten österreichischen Öffentlichkeit und seiner ebenso höfisch organisierten Kunstlandschaft ein Problem der Übersichtlichkeit. Der Platz am Hofe war, wenn nicht transparent und eindeutig, zumindest suspekt. Vor allem, wenn der Platz wie bei Qualtinger zwar in der Öffentlichkeit, nicht aber explizit bei Hofe war. Österreich nach 45, gekennzeichnet durch eine ausgedünnte und nicht diversifizierte Medienlandschaft, verkrustet durch voneinander abhängige, immobile Machtzentren, immer in der Verwechslung von Konsens und Paralyse existierend und nicht zuletzt durch nie statt gefundene seriöse Therapie des Nazitraumas, das war das Wirkungsfeld Qualtingers, als Autor und Darsteller, als Kabarettist und Filmschauspieler. Vieles hat sich bis dato nicht wesentlich geändert, vor allem nicht das Feudale in Macht- und Kunstfragen. Die Medienkonzentration hat sich sogar noch ein paar Schritte weiter Richtung Kaukasusrepublik entwickelt, das verdrängte Dritte Reich läßt die Zeit für sich arbeiten und der stagnative Konsens arbeitet gegen die Zeit. In diesem Biotop also war Qualtinger Kabarettist im ursprünglichen Sinne, unsubventioniert - also kein Hofnarr auf der Gehaltsliste des Fürsten, kein Günstling im eng gesteckten Reservat erlaubter Kritik. Gemeint ist hier also eher Nestroy als Galilei, der als Höfling des Papstes die Provokation des heiligen Offiziums und die darauffolgende Opferrolle zur Auflagensteigerung nutzte. Gemeint ist hier die explizite Ausnahme der Kunstgeschichte, wo Kunst nicht der Bestätigung, Repräsentation und Akklamierung herrschender Hegemonien dient oder diese sanft in erlaubten Bahnen kritisieren darf, es handelt sich also um einen der wenigen Korrelationspunkte von Kunst und politischer Freiheit. Politische Kunst (so das Gegenteil überhaupt existent ist) im eigentlichen Sinne, wo das Politische als aktiver, unabhängiger nicht reaktiver Faktor in Erscheinung tritt. Dieser Gesichtspunkt, oft vernachlässigt, ist entscheidend in der Kunstbetrachtung jenseits des l’art pour l’art. In einer Kunstdiskussion, die in Ermangelung von Begriffen und Argumenten, zu einer Geschmacksdiskussion heruntergekommen ist und die einen Kunstjournalismus hervorbrachte, der unter weitgehendem Verzicht auf Kritik zu Gunsten von Meinungsjournalismus wiederum das höfische Prinzip weiter pflegte, ist dieser Aspekt besonders signifikant. Qualtinger, oft mit dem Attribut „extrem“ in Zusammenhang gebracht, scheint unter diesem Licht der job description des Kabarettisten eher „normal“. Selbstredend ist unabhängige Kunst im höchsten Maße problematisch, besonders, wenn sie sich in einer Mediengesellschaft nahezu außerhalb der Steuerungsmechanismen bewegt. Zwei Strategien haben sich in diesem Zusammenhang immer bewährt. Ausgrenzung- oder sollte diese nicht reüssieren die Umarmung des vergeblich Ausgegrenzten. So läßt sich zumindest posthum der widerwillig Umarmte wieder zurückführen in kontrollierte Bahnen und mit Hilfe kleiner Geschichtslügen, die ja bekanntlich meist schon am Abend der Gegenwart auftreten, die Ausnahme zur Regel zu machen und die Unordnung bei Hofe zu glätten. Posthumes Lob, ebenso wie die uneigennützige Intrige, eine österreichische Spezialität, dient in Falle Qualtinger nicht der wirklichen Achtung des Künstlers, sondern des Eigenlobs einer vermeintlich diskursiven Gesellschaft, offen für Kritik am System. Die Wertschätzung als Verwässerung, die Verlagerung des Schwerpunktes vom kritischen Inhalt zur Außergewöhnlichkeit des Phänomens und deren Ausstellung ist eine historisch erfolgreiche Strategie zur Ablenkung vom Gegenwartsbezug. Vermutlich liegt das Copyright für diese Vorgangsweise bei vazierenden Jahrmärkten vergangener Jahrhunderte.

DAS BLEIBENDE

Das Bleibende, in tranigen, bildungsbürgerlichen ebenso wie in fortschrittlichen Kunstbeurteilungen meist als Hauptkriterium für den Wert eines Kunstwerks oder Künstlers herangezogen, ist vor allem unter dem Aspekt der Unschärfe zu untersuchen. Zum ersten ist die historische Unschärfe zu erwähnen, im Bewußtsein, was Geschichte eigentlich bedeutet. Abgesehen von der pikanten Ambivalenz des Wortes im Deutschen, die impliziert, daß jede Form der Geschichtsschreibung natürlich eine Geschichte ist, ein mehr oder weniger willkürliches Relikt der Hofberichterstattung, ein Surrogat der Wahrheit, eine der Realität ähnelnde Verkürzung. Eine Auswahl unter verschiedenen Selektionskriterien getroffen, die machtpolitisch oder wie in der Kunstgeschichtsschreibung meist geschmäcklerisch motiviert sind. Eine Geschichte mit einem wahren Kern wahrscheinlich, dennoch nur eine Möglichkeit, ein Aspekt, ein Segment der Wirklichkeit, aber nicht mehr und daher nur bedingt reliabel. Zweitens wäre die Unschärfe zu erwähnen, die das Bleibende als gleichmachendes Element aller Kunstgattungen etabliert. Warum sollten Kunstformen, denen das Quasi-Fertige, Archivierbare immanent ist, der Vorzug gegeben werden gegenüber anderen, deren Inhalt es ist Vergängliches in Form und Inhalt darzustellen? Warum sollte in der Kunstbetrachtung Konservatives über Dissipatives gestellt werden? Kunstbetrachtung ohne Einbeziehung der Zeitebene halte ich für sinnlos, das Bleibende repräsentiert aber nur eine Perspektive in dieser Hinsicht. Priorität hat der Dialog mit der Gegenwart, die großen jahrhunderte-überdauernden Genies verdanken nicht zuletzt ihren Ruhm dem günstigen Geschick der Geschichtsselektion und der relativen Unveränderlichkeit der großen Themen. Es sollte auch nicht der politische Aspekt unerwähnt bleiben, unter dem „bleibende“ Kunstwerke leichtere Opfer politischen Zugriffs darstellen, da auf der fixen Angriffsfläche Zensur, Manipulation u.ä. schneller Fuß fassen können. Ein täglich wechselndes Theaterereignis - und ich spreche hier nicht vom Theater unter der Domäne der Literatur, eher vom Theater im Artaudschen Sinne, der Bilderzerstörung, der Fluktuation, volatil in seinem Wesen - bietet im Kosmos der Zwischentöne weniger Haftung für Einflußnahme. Wer Qualtinger jemals live erleben durfte, weiß wovon die Rede ist, weiß auch, daß jede Form der Literarisierung seines Oeuvres eher Reduktion als Elevation darstellt. Die doppelte Brechung seines Schaffens, durch die Verfilmung der Literarisierung Qualtingers war die Aufgabenstellung von „Qualtingers Wien“. Das Problem lag also darin, im Respekt für ihn die Transformation mit möglichst geringer Erosion erfolgen zu lassen.

PROBLEME DER ADAPTION

Wer Theater erleben will, muß dieselbe Luft atmen wie die Akteure, Film atmet nicht. Der natürliche Dialog, die Kommunikation der Wirklichkeit, das Sender-Empfänger-Schema ist im Kinosaal reduziert. Zwar ist es möglich den objektiv unveränderten Film mehrmals unter verschiedenen Gesichtspunkten, in anderen Stimmungen oder Zugangsweisen zu betrachten, dem Kreativen des Films fehlt aber die Möglichkeit spontan auf den Rezipienten zu reagieren. Diese conditio sine qua non in Einklang zu bringen mit Qualtingers Animo, ständig Reaktionen zu provozieren, in der Reaktion bereits die Veränderung der Darbietung einzubinden, Theater also im originären Sinn zu machen, sah ich als das Kernproblem der filmischen Adaption. Was also war der Weg Qualtingers Wesen und Intentionen kompatibel zu filmischer Umsetzung zu machen, ohne das Medium und oder den Autor zu reduzieren? Meiner Ansicht nach handelt es sich dabei um eine Kurve, die die Koordinate niemals tangieren kann. Im besten Falle kommt es zu punktuellen Annäherungen, es muß auch die Frage aufgeworfen werden, ob es sich nicht um ein sinnloses Unterfangen handelt, ob die Fusion, Adaption oder Versöhnung beider Medien nicht eine Schimäre ist, durch die Begeisterung für einzelne Teilaspekte beider Kunstrichtungen entstanden. Ist es also möglich Qualtinger gerecht zu werden in der Ablichtung seiner Texte, von anderen Darstellern vorgebracht? Beschneidet andererseits der Purismus, gestützt durch Wertschätzung des Autors, die filmischen Möglichkeiten? Und wie verfährt man mit Texten, die heute nur mit historischen Fußnoten verständlich sind? Macht das Aufklärerische Sinn oder verzichtet man im Sinne der Filmsprache auf Szenen, die der Erklärung, ja der textlichen Epik bedürfen. Beschränkt man sich auf das auch heute noch ausnahmslos Verständliche, das „Bleibende“ also? „Wenn ich einmal still und besinnlich war, gleich bumm!“ „Hast was? Hast bestimmt nichts?“ Immer hat er Zeit gehabt der hackenstade Obezahrer. Wenn ich einmal am sogenannten Häusel sitz, geht er vor der Tür auf und ab und sagt dann: „Ich hab nicht gewußt, daß du drin bist, schön ists, wenn man sich nach all den Jahren noch so lieb hat.“ Die Mörderin, die nachdem sie ihren Mann erschlagen hat, noch mit ihm hadert., wie soll man diesen Wahnsinn auflösen? Ist hier nicht jeder Schnitt ein Problem als Kontrapunkt zur Dichte des Textes. Wäre hier eine Auflösung mit wenigen Einstellungen, eine quasi „theatralische“ nicht zuträglicher? Und wenn ja, könnte man all dies nicht auch auf das gesamte Drehbuch ummünzen und wer würde diese Bildsprache 90 Minuten ertragen, ausgestattet mit den heutigen Sehgewohnheiten? „Viere is und angoffen bist, wo warst?“ Ein Bild, gleichsam auf diese repetierende Pointe hingeschrieben, zwischen dieser aber das Universum einer Ehelüge, die offensichtlich auch zwischen den Partnern gelernt ist. Der Versuch das allgemein Bekannte zwecklos zu verschleiern in der sinnlosen Hoffnung, es würde einem geglaubt. Dieser Monolog des Ehemannes wird nur immer wieder durch eben diesen einen Satz der wartenden Ehefrau unterbrochen, doch würde er für sich allein nichts Mehrdimensionales erzählen. Das Decouvrierende dieser Ehe, das Wissen um die Lüge beruht auf dem Satz der Frau. Komik und diese Art der Satire funktioniert meist dann am besten, wenn man fast ständig beide Dialogpartner im Bild hat, sie verlangt das Doppel. Als Methode durchgehalten könnte auch hier Kritik der zu theaterähnlichen Auflösung aufkommen. Diese Szene warf bei der Bearbeitung einmal mehr die Frage auf, ob Text oder Bild das Primat eingeräumt werden soll, ein Kompromiss schien nicht wirklich gangbar oder zielführend. „Im Prater blühn wieder die Bäume“, von Qualtinger für sich und Vera Borek geschrieben, als Rahmen des Films konzipiert, erzählt den Sadismus einer Beziehung zwischen einem Arbeitslosen und seiner an den Rollstuhl gefesselten Frau. Auf eine Mutter-Sohn–Beziehung umgeändert verliert es zwar nicht an Brisanz, wohl aber an Intention im Sinne des Autors. Hier taucht das omnipräsente Problem der Funktion des Drehbuchs auf. Dient es bloß als Vorlage, als Anreiz für die filmische Umsetzung, quasi als präziser formulierter Anhaltspunkt oder ist es als gleichsam autoritärer Faktor zu betrachten, als unumgänglich und kaum relativierbar oder nimmt es die Rolle des Spielballs zwischen beiden Antipoden ein. Da Qualtinger als Phänomen präsent war, mußte man diese Frage umformulieren. Bedient man das Bekannte der Legende oder arbeitet man in manchen Aspekten konsequent dagegen? Bei der Rahmenhandlung entschieden wir uns für Letzteres, begünstigt durch den Umstand, daß jener Klassiker niemals zur Aufführung oder Verfilmung gelangte, zumal Qualtinger „Im Prater blühn wieder die Bäume“ nicht für eine Bühneadaptierung vorgesehen hatte und die filmische Umsetzung über das Planungsstadium nie hinaus gedieh. Wesentlich wäre auch zu erwähnen, daß die Vorgabe der Collage, des Episodenfilms als Erzählweise adäquat zur Quellenlage war, Aufgabenstellung war es angesichts der vom Verlag zur Verfügung gestellten Originale einen möglichst großen Bogen zu spannen über das Oeuvre, also bibliographisch vorzugehen ohne das Typische zu vernachlässigen und das Außergewöhnliche zu ignorieren. Man hätte auf Rahmenhandlungen verzichten können, da „Qualtingers Wien“ aber eine Fernsehproduktion war, schien das inadäquat. Eine letzte, aber nicht unbedeutende Problemstellung schien die Frage nach dem Historismus. und zwar in der Tragweite ambivalenter Bedeutungen des Begriffs. Im Bewußtsein im Grunde historische, da zumindest in formaler und idiomatischer Hinsicht nicht mehr zeitgemäße Texte vorliegen zu haben schien die erste Deutung des Begriffs (Geschichtsverständnis, das die Vergangenheit mit heutigen Maßstäben zu deuten versucht) unumgänglich, schon aufgrund der unter diesem Gesichtspunkt erfolgten Vorselektion des Textmaterials. Die Bedeutung der Qualtinger-Texte aus der Zeit heraus war uns dennoch ein Anliegen unter Berücksichtigung der oben angeführten Unschärfe des Bleibenden. Es ging also nicht darum die zweite Bedeutung des Historismus zu strapazieren (Geschichtsbetrachtung, die alle Phänomene aus ihren geschichtlichen Bedingungen heraus zu erklären versucht) sondern den Dualismus des Historismus in Text und Bild darzustellen. Der Versuch „historisches“ Textmaterial mit heutigen filmischen Mitteln und zeitgemäßer Ausstattung quasi ins Zeitlose zu transponieren, schien uns das adäquate Mittel. Die Sprache des Gestrigen im Bild des Heutigen als Versuch der linearen Interpretation zu entwischen, die Ambiguität der Welt des Autors nicht einerseits ins Trendige oder in die historische Schublade andererseits abdriften zu lassen, war eine der Gratwanderungen der Produktion. Abschließend läßt sich sagen, daß sich „Qualtingers Wien“ so speziell die Problemstellungen auch gewesen sein mögen, nicht unähnlich verhielt zu vergleichbaren Literaturverfilmungen zumindest, was die Hindernisse betrifft. Ungeklärt bleibt die Sinnhaftigkeit solcher Adaptionen, besonders, wenn es sich um eine zweifache Brechung des Ursprungsereignisses Bühne über die Literarisierung zur Verfilmung handelt. Man mag den Wert von Archivierung und Dokumentation ins Treffen führen, dem ist wenig entgegenzuhalten, soweit dieses Argument vor dem Hintergrund des Aspekts betrachtet wird, daß Konservierung in diesem Fall der Geruch der Verfälschung anhaftet und die löbliche Konnotation der Bewahrung in Relation gesetzt werden muß zur Begleitmusik des gefärbten Image. Letzterem kann erwidert werden, daß Kenntnis des Vergangenen erst die Möglichkeit zur Extrapolation bietet, die Lernfähigkeit aus der Geschichte, ja sogar der Fortschritt wird damit in Verbindung gebracht, was unmöglich wäre ohne Fixierung der Ereignisse, also der Statik der Erkenntnis. Bleibt die banale Frage, ob Qualtinger gerecht werden kann mit Interpretationen a posteriori, sei es auf literarischer oder filmischer Ebene, ob die Abstraktion sich dem Künstler annähern kann, nicht unter dem Aspekt falsch verstandener Ehrfurcht, sondern in Hinblick auf adäquatem Verständnis.

Alfred Dorfer

Das Foto von Alfred Dorfer machte Peter Rigaud.

Mehr Infos: www.dorfer.at