Das Gewissen Hollywoods
Zum Tode des US-Regisseurs und Produzenten Stanley Kramer
Von Marc Hairapetian
Das Gewissen Hollywoods
Zum Tode des US-Regisseurs und Produzenten Stanley Kramer
Von Marc Hairapetian
Simone Signoret und Oskar Werner in Stanley Kramers
" Das Narrenschiff " (1965)
Stanley Kramer war Hollywoods erfolgreichster Independent-Filmemacher. Sein
ausgeprägtes ethisches Bewußtsein trat schon in der Tätigkeit
als reiner Produzent in den Vordergrund: „Der letzte Musketier“
(1950), „Zwölf Uhr mittags“ (1952) und „Die Caine war
ihr Schicksal“ (1954) bedienten sich zwar unterschiedlicher kinematographischer
Genres (Kostümfilm, Western, Seefahrtsdrama), stellten aber allesamt
ein Motiv in das Zentrum des Geschehens: den Kampf des Einzelnen mit den von
der Gesellschaft vorgegebenen Normen und Werten.
Seit dem Regiedebüt „Und nicht als ein Fremder“ (1955) bewies
der am 29. September 1913 in New York geborene „Überzeugungstäter“
immer wieder, wie sehr er der kardinalen Tugend des Filmschaffens gewärtig
war: Allein die darstellerische Gestaltung vermag es denn, aus dem bewegten
Bild ein Faszinosum zu wirken. Seine Arbeiten versammelten das „Who’s
Who“ der internationalen Schauspielkunst: von seinen Entdeckungen Grace
Kelly, Marlon Brando und Kirk Douglas, über Spencer Tracy, mit dem er
vier Filme drehte, bis zu Gary Cooper und Maximilian Schell, die er gar zum
Oscar führte.
Das Werk des „Regisseurs für denkende Menschen“ kennzeichnete
ein unumstößlicher Glaube an die Grundwerte der Goetheschen Triade.
Wie der 1934 noch MGM-Kulissen umherschiebende Idealist selbst, waren seine
Parabeln von dem, was wahr ist, schön und gut, nahezu manisch durchzogen.
Im „Urteil von Nürnberg“ etwa ließ er bei der Weltpremiere
im Zoo-Palast 1961 unter den Augen Willy Brandts durch Spencer Tracy als weisen
Richter verkünden: „This is what we stand for: justice, truth and
the value of a single human being.“ Mit Montgomery Clifts Verkörperung
eines von Nazi-Hand sterilisierten Arbeiters, der ob seiner Vernehmung in
wortschwache Verstörung stürzt, sind zehn der ergreifendsten Filmminuten
überhaupt entstanden. Dies hinderte seinerzeit eine Berliner Boulevard-Zeitung
nicht, sich zu der Überschrift „Der Jude Kramer kehrt heim und
zeigt uns Deutschland“ zu erdreisten.
„Das Narrenschiff“ (1965) nimmt die Fahrt eines deutschen Frachters
zum Anlaß, die Einzelschicksale der dem Wetterleuchten des II. Weltkriegs
Entgegenreisenden ineinander zu verstricken. Das in seiner detaillierten Kaleidoskopie
frappierende Meisterwerk zeigt letztmals Vivian Leigh in der Rolle eines alternden
Vamps sowie einen als jüdischen Geschäftsmann kontrapunktierenden
Heinz Rühmann. Der erschütternd authentisch gespielte Herztod des
melancholischen Schiffsarztes verschaffte Kramers Lieblingsakteur Oskar Werner
Weltruhm. Dieser Part erbrachte dem österreichischen Theaterstar zahlreiche
Auszeichnungen: Neben dem New Yorker Kritikerpreis und dem Golden Globe auch
eine „Oscar“-Nomienierung als „Bester männlicher Hauptdarsteller“.
Insgesamt wurde „Das Narrenschiff“, das auf dem gleichnamigen
Bestseller von Katherine Anne Porter basiert für acht Academy Awards
vorgeschlagen. Allein Ernest Laszlos elegante Schwarzweiß-Kameraführung
und die aufwendige Ausstattung wurden schließlich prämiert. Seinen
großen Erfolg zum Trotz scheint Kramers Klassiker bei deutschen TV-Sendenstalten
in Vergessenheit geraten zu sein, resultiert doch die letzte Ausstrahlung
aus dem Jahr 1986...
Eine weitere Zusammenarbeit zwischen Kramer und Werner kam trotz gegenseitiger
Wertschätzung nicht mehr zustande. So lehnte es der unbestechliche Akteur
trotz dreifacher Gagenerhöhung kategorisch ab, im „Geheimnis von
Santa Vittoria“ (1968) einen „guten Nazi“ zu spielen: „Wenn
jemand gut ist und ein Nazi, dann ist er nicht intelligent. Wenn jemand intelligent
ist und ein Nazi, dann ist er nicht gut. Und wenn jemand gut und intelligent
ist, dann ist er kein Nazi.“ Die Rolle übernahm dann Hardy Krüger.
Der renitent sozialkritische Humanist Kramer rührte immer wieder an politischen
Brisanzen: „Flucht in Ketten“ thematisierte schon 1958 die gescheiterte
Rassenintegration in den USA, bevor mit „Wer den Wind sät“
(1960) die rückstandslose Aufschmelzung religiöser Vorurteile und
in „Rat mal, wer zum Essen kommt“ (1967) die satirische Schlagseite
einer diskriminierten Mischehe zur Vorführung kamen. Bezeichnender Weise
gehörte er zu den wenigen US-amerikanischen Regisseuren, denen selbst
während des Kalten Kriegs große Anerkennung in den Staaten des
Ostblocks zuteil wurde. Auch wenn der Prophet im eigenen Land bezüglich
seiner links-liberalen Haltung als „Anti-Amerikaner“ und „Moralist“
angeprangert wurde, belohnte Hollywood seine Filme mit 80 Oscar-Nominierungen
und 16 gewonnenen Statuetten.
So ausdauernd Kramer die verknöcherten Grundpfeiler bürgerlichen
Weltverständnisses affrontierte, so wenig hielt er sich an tabuisierende
Konventionen. Er unterstand sich als erster, das Egalitätspostulat von
Schwarz und Weiß in Gagengleichheit umzusetzen, wagte es gar, den Index
des Kommunistenjägers McCarthy als künstlerisches Rekrutierungsreservoir
zu nutzen. „Denkt bloß nicht, daß wir heulen“, eine
Teenager-Studie über die Folgen erzwungener Erwachsenwerdung, das Campus-Drama
„R. P. M. (Revolutions per Minute)“ oder das Ölsucher-Abenteuer
„Oklahoma-Crude“ markierten die farbige Reife der 70er Jahre,
die der Geheimdienst-Thriller „Das Domino-Komplott“ beschloss.
Der bis ins hohe Alter von wacher Intelligenz geleitete Cineast zog sich zwar
Anfang der 80er Jahre aus dem Filmgeschäft zurück, sorgte aber noch
mal vor drei Jahren mit seiner auf die Marathonkomödie gleichen Titels
anspielende Autobiographie „It’s a Mad, Mad, Mad, Mad World“
für Furore. Die von einem Vorwort Sidney Poitiers eingeleitete, mit zahlreichen
Photos versehene Vita gibt u.a. ausführlichen Aufschluß über
den aus Ernest Laszlo (Kamera), Abby Mann (Drehbuch) und Ernest Gold (Musik)
bestehenden Stab sowie über gescheiterte Projekte wie dem Zivilkriegsdrama
„Anderssonville“ oder einem Porträt über den polnischen
Arbeiterführer Lech Walesa.
Bei Stanley Kramer wurden nicht allein die geistig-seelischen Landschaften
des von Wahrheitssehnsucht Getriebenen, sondern auch seine kollektiven Glücksphantasien
greifbar. Folgerichtig lautete denn auch sein Credo: „Das Wichtigste
im Leben - erstens Ideale, zweitens Freunde“. Am 19. Februar starb das
„Gewissen der Traumfabrik“ 87jährig in Los Angeles an Lungenentzündung.