Regisseur Georg

Eine amerikanische Tragödie

Gigantomanie des Gewissens: Regisseur George Stevens zum 100.

Von Marc Hairapetian


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„Das ist der beste Film, der je in Hollywood gedreht worden ist.“ Dieses hohe Lob zollte Charlie Chaplin im Jahre 1951 einem Film, der heute längst als Klassiker gilt, dessen Regisseur George Stevens aber zu Unrecht etwas in Vergessenheit geraten ist: „A Place in the Sun“ („Ein Platz an der Sonne“) wurde seinerzeit gegen die starke Konkurrenz von Anatole Litvaks neorealistischem Spionage Drama „Decision Before Dawn“ („Entscheidung vor Morgengrauen“) mit sechs Oscars – darunter für Regie (!), Kameraführung und Drehbuch – ausgezeichnet. Es war der endgültige Durchbruch für Montgomery Clift, Shelley Winters und die junge Elizabeth Taylor, die unter Stevens behutsam-sorgfältiger Inszenierung darstellerische Höchstleistungen vollbrachten. Der Film beruht auf dem berühmten, 1925 erschienenen Roman „Eine amerikanische Tragödie“ des Deutschamerikaners Theodore Dreiser. Er erzählt die tragische Geschichte des George Eastman (Montgomery Clift), der sich um eine soziale und gesellschaftliche Besserung bemüht. Mit Hilfe seines reichen Onkels, eigener Tüchtigkeit und nicht zuletzt seiner Freundin, der Fabrikarbeiterin Alice (Shelley Winters), gelingt ihm der steige Aufstieg. Da lernt er die reiche Angela Vickers (Liz Taylor) kennen. Eine Heirat würde das Ziel seiner Vorstellungen bedeuten, doch Alice steht George dabei im Weg – zumal sie ein Kind von ihm erwartet.

Dreiser selbst ließ sich von einem Aufsehen erregenden Prozess im New York aus dem Jahr 1906 zu seinem Buch über das wirtschaftliche und moralische Klima der 1920er Jahre inspirieren. Im wirklichen Kriminalfall war ein gewisser Chester Gilette wegen Mordes zum Tode verurteilt worden: Laut Anklage hatte er seine Freundin Grace Brown im „Big Moose“-See ertränkt, weil er eine reiche Frau heiraten wollte. Dreisers Werk war erstmals 1931 von Josef von Sternberg mit Phillip Holmes, Sylvia Sidney und Franca Dee in den Hauptrollen verfilmt worden. Diese erste Adaption gefiel dem Romancier so wenig, dass er die Freigabe des Films per Gerichtsentscheid zu verhindern suchte. Er warf der Produktionsgesellschaft vor, sie habe sein Buch zu einer banalen Mordstory verwässert. Dreiser, der 1945 starb, erlebte Stevens’ Version „einer amerikanischen Tragödie“ nicht mehr mit. Die Filmkritiker waren sich jedoch damals einig, dass er diesen Film voll gebilligt hätte, obwohl die Handlung in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg verlegt und nicht nur der Titel, sondern auch die Namen der Hauptpersonen geändert wurden. Stevens erklärte am Ende der Dreharbeiten: „Ich glaube, das ist das Beste, was ich je fertig gebracht habe. In dieser Geschichte fühlen wir uns den Menschen, die getrieben werden und treiben, nahe, weil ihre Probleme sehr leicht unsere eigenen Probleme hätten sein können.“

Bei Dreiser wie auch bei Stevens ist der Protagonist im letzten Augenblick nicht fähig, seine schwangere Freundin bei der Bootsfahrt umzubringen, obwohl er die Tat vorher in allen Einzelheiten durchdacht hat. Ein Unfall kommt ihm „zur Hilfe“ – und lässt seinen Wunsch Wirklichkeit werden. Ist er schuldig oder nicht? Er wird zum Tode verurteilt; die Geschworenen, seine Mutter, der Priester und schließlich er selbst sagen „ja“. Obwohl Stevens’ Kameraführung den Zuschauer bewusst im unklaren lässt, ob George Easton seiner durch eigenes Verschulden über Bord gehenden Freundin noch hätte helfen können, sagte er später: „Ich persönlich bin der Meinung, dass der junge Mann bestraft werden musste – wie es auch geschah. Die wahre Tragödie ereignete sich sowieso vorher, als das reiche Mädchen ihn akzeptierte. Der Rest ist reine Mechanik.“ Gegenüber dem geschriebenen Gesetz ist der Spruch der Geschworenen ein Justizirrtum. Der Verurteilte unterwirft sich ihm aber, weil er sich vor dem Tribunal des Gewissens als schuldig bekennt.

Stevens inszenierte den beklemmenden Stoff zeitlos. Bei ihm ist es keine amerikanische, sondern eine menschliche Tragödie. Die eigentlichen Aspekte des Romans – die weit ausholende Kritik an der Justiz und deren Verschmelzung mit der Politik – gehen bei ihm nicht verloren. Er setzte auf eine eigentümliche Mischung von explosivem Kammerspielton und epischem Drama, durch die er mit nachtwandlerischer Sicherheit die richtige Besetzung führte. Clift ist der verhalten-verkrampfte, sich in dumpfer Bedrängnis bewegender Junge, der sich nach dem „Platz an der Sonne“ sehnt. Er ist ein ganz normaler Mensch, ohne heldische Größe, der in Schicksalhaftigkeiten verstrickt wird, die sein Fassungsvermögen überschreiten. Winters zeigt als das verlassene Mädchen, was für eine Vollblutschauspielerin sie ist – und die Taylor fasziniert als das liebliche und liebende Idol des Jünglings. Nie war sie schöner und bezaubernder als in George Stevens Meisterwerk.

Stevens machte in dem Film fast beiläufig sehr geschickt Gebrauch von Alltagsgeräuschen wie Vogelrufen, Sirenengeheul oder Hundegebell. Er hatte allerdings auch einen exzellenten Stab zur Hand: Franz Waxman schrieb die psychologisch unterbaute Musik. Der mit langen Perspektiven und aufregenden Großaufnahmen arbeitende Kameramann William C. Miller war seiner Zeit weit voraus, was vor allem die Darstellung der vor Intimität und Erotik nur so knisternden Kussszenen zwischen Clift und Taylor, die in ihren homosexuellen Hauptdarsteller tatsächlich unsterblich verliebt war, anbelangt. Eine US-Filmkritikerin schrieb nach der Premiere von „A Place in the Sun“ (Ein Platz an der Sonne“): „Die amerikanischen Kinobesucher werden nie und nimmer einen Film akzeptieren, in dem ein Mann für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat, auf den elektrischen Stuhl geschickt wird.“ Sie irrte sich: Der Film wurde ein (weltweiter) Erfolg!

Sein Regisseur George Stevens, der bereits (als Darsteller) in der Stummfilmära aktiv war und vom Einsatz der Farbe bis hin zu CinemaScope alle technischen Erneuerungen im Filmsektor für sich zu nutzen wusste, war vor allem in den 1950er Jahren das Aushängeschild für anspruchsvolles Blockbuster-Kino aus Hollywood. Sein erster Flop, die Jesus-Verfilmung „Die größte Geschichte aller Zeiten“ ließ ihn seine weitgehende Unabhängigkeit als Filmemacher verlieren, so dass dieser Gigantomane des Gewissens darauf mit „The Only Game in Town“ („Das einzige Spiel in der Stadt“, 1970) nur noch einen Film drehen konnte. Das Handwerk hatte er von der Pieke auf gelernt. Im Alter von fünf Jahren trat der am 18. Dezember 1904 in Oakland geborene George in der Bühnenkompanie seiner Schauspieler-Eltern auf. Sein Hobby Fotografie wurde später zum Beruf, als er den Hollywood- Kameramännern jener Tage assistieren durfte. In den Hal Roach Studios arbeitete er sich zum „principal cameraman“ hoch und fotografierte Komödien-Klassiker wie Laurel and Hardy´s „Two Tars“ (1928) und „Below Zero“ (1930). Sein Regiedebüt gab er 1930 in Roachs „Boy Friends“-Serie. Kurz darauf wechselte er aus finanziellen Gründen zu Universal und danach 1934 zu RKO, wo er verschiedene Low-Budget-Produktionen inszenierte, „von denen keine mehr die Rede wert ist“ (Stevens über Stevens), bis er beim „A-feature“ „Alice Adams“ (1935) Regie führen konnte. Der Star des Films, keine geringere als Katharine Hepburn, protestierte heftig gegen den „Emporkömmling“. Ihre Haltung gegenüber Stevens änderte sich während der Dreharbeiten um 180° - und sie bestand darauf, dass er sie auch in „Quality Street“ (1936) ins rechte Lichte rücken sollte. Ein weiterer Triumph für ihn war das Fred-Astaire-/Ginger-Rodgers-Musical „Swing Time“ (1936), in welchem sein Vater Landers Stevens eine weitere Hauptrolle spielte. Fortan war er als Regisseur und Produzent in Personalunion immens erfolgreich: Für RKO drehte der Frauen verstehende Filmemacher und stilsichere Komödienspezialist „Vivacious Lady“ (1938) und „Gunga Din“ („Aufstand in Sidi Hakim“, 1939), für MGM „Woman of the Year“ (“Die Frau, von der man spricht“, 1942, indem erstmals das Traumpaar Katherine Hepburn/Spencer Tracy gemeinsam vor der Kamera stand) und für Columbia „ Penny Serenade“ („Akkorde der Liebe“, 1941), „Talk of the Town“ („Zeuge der Anklage“, 1942) und „The More the Merrier“ („Immer mehr, immer fröhlicher“, 1943). Nachdem er in Hollywood zur „A“-Klasse der Regiegilde gehörte, verwandte er ungeheure Sorgfalt bei der Fertigstellung jedes einzelnen Films. Neben der dynamischen Fotografie, auf die der ehemalige Kameramann enormen Wert legte, wurde zu seinem weiteren Markenzeichen, dass er bis zu einem Jahr im Schneideraum mit der Montage beschäftigt war.

Im Zweiten Weltkrieg war er Offizier im Signal Corps und filmte in Farbe diverse D-Day-Manöver und Befreiungen aus den Konzentrationslagern („Nazi Concentration Camps“, 1945). In dem von seinem Sohn George Stevens Jr. zusammengestellten Porträt „A Filmaker´s Journey“ (1984) und auch in „D-Day to Berlin“ (1994) sind diese zeitgeschichtlichen Dokumentate von ihnen zu sehen. 1948 drehte er mit Irene Dunne „I Remember Mama“ („Geheimnis der Mutter“) seinen letzten Film für RKO, um dann für die Paramount seinen eingangs zitierten „A Place in the Sun“ („Ein Platz an der Sonne“) zu realisieren. Die Zusammenarbeit mit Liz Taylor, die unter seiner Regie zur Charakterdarstellerin heranreifte, wurde in „Giant“ („Giganten“ (1956) und seinem letzten Werk „The Only Game in Town“ („Das einzige Spiel in der Stadt“, 1970) fortgeführt.

Nach dem etwas rührseligen Alkoholikerdrama „Something to Live For“ („Wofür das Leben sich lohnt“, 1952) folgte ein Jahr später der hoch gelobte Western „Shane“ („Mein großer Freund Shane“, 1953). Für die Geschichte des vom schmächtigen Alan Ladd verkörperten Fremden, der den Siedlern bei ihrem Kampf um Grund und Boden hilft, um dann wieder ruhelos in die Ferne zu ziehen, erweckte Stevens die Erzähltradition des angelsächsischen Romans. Meisterhaft sind geschichtlicher, soziologischer und menschlicher Hintergrund deutlich gemacht. Jede Einstellung, jede Nuance der Farbfotografie hat ihren besonderen Sinn, ist bewusst dem breiten epischen Fluss oder den unerbittlich gesteigerten dramatischen Wirbeln eingefügt. Danach drehte Stevens seinen bekanntesten Film: „Giant“ (gemeint ist damit das Land Texas, was die Vermehrfachung „Giganten“ im deutschen Titel nicht mehr berücksichtigt) war der letzte Film von James Dean, der noch vor Ablauf der Dreharbeiten bei einem Autounfall starb. Stevens hatte mit dem rebellischen Jugendidol vorher seine liebe Mühe am Set. Vor seiner ersten Szene mit Liz Taylor, erleichterte sich das aufgeregte Enfant terrible auf ganz besondere Art, indem er vor den Augen des Regisseurs und zahlreicher Schaulustiger in die texanische Landschaft pinkelte. „Wenn ich das vor Tausenden von Augen schaffe, müsste mir die Szene mit der Taylor auch keine Probleme mehr machen.“, verriet er später seinem ihn vorbehaltlos bewundernden Kollegen und Freund Dennis Hopper. Stevens tobte zwar, doch die Szene zwischen Taylor und Dean klappte im Anschluss problemlos. Den an sich langatmigen Familienroman Edna Ferbers münzte der Regisseur in eine 3 Stunden und 18 Minuten währende, bildgewaltige kritische Studie der texanischen Vieh- und Ölmillionäre um. Ein armes Mädchen aus dem Osten (Liz Taylor) heiratet einen jungen, anständigen, aber nicht gerade schöngeistigen Gutsherren (Rock Hudson), der das lang Ererbte eigensinnig zusammenhält. Sie bringt Feinsinnigkeit und großbürgerliche Toleranz ins raue Texas. Doch da ist noch der arme Lump (James Dean), Angestellter des Millionen schweren Gatten, der ein Leben lang an der verzehrenden Liebe zu ihr leidet, die ihn fähig macht, zum reichsten Ölmagnaten zu werden, um den Gutsbesitzer zu zerstören. Am Ende hat er sich allerdings selbst zerstört. Ein wuchtiger Film mit manchen Längen, der seine größte Szene hat, wenn sich der (mit modisch blaugrau gefärbten Haaren) gealterte Rock Hudson in einem Drive Inn zu den Jukeboxklängen von „The Yellow Rose aus Texas“ einen hoffnungslos unterlegenen Faustkampf für die Rechte der mexikanischen Bevölkerung mit dem rassistischen Wirt liefert. Für seinen konterkarierenden Inszenierungsstil erhielt Stevens seinen zweiten Regie-Oscar.

Nach „The Diary of Anne Frank“ („Das Tagebuch der Anne Frank“, 1959) arbeitete er als Regisseur, Associate Producer und Drehbuchautor an einem Monumentalfilm über das Leben von Jesus Christus: „The Greatest Story Ever Told“ („Die größte Geschichte aller Zeiten“) war ungeheuer seriös (so durften vom Jesus-Darsteller Max von Sydow im Vorfeld keine Pressefotos an die Zeitungen gegeben werden), brachte aber auch nicht unmittelbare neue Erkenntnisse. Unfreiwillig komisch geriet der Auftritt John Waynes als Centurio bei der Kreuzigung – im breitesten amerikanisch verkündete er: „Trew-ly this man wuz the son of Gawd.“ Die Welle der großen Bibel-Verfilmungen war inzwischen abgeebbt (heute schwillt sie wieder an), Stevens Tage als unabhängiger Filmemacher leider auch. Bei seinem finalen Epos „The Only Game in Town“ (“Das einzige Spiel in der Stadt“, 1970) war er kaum mehr als eine helfende Hand für sich egomanisch gebärende Stars wie Elizabeth Taylor und Warren Beatty. Im selben Jahr geriet Stevens nochmals in die Schlagzeilen und zwar als Juryvorsitzender der wohl bis heute skandalreichsten Berlinale. Der Regisseur, der sich in seiner Heimat offen gegen den Vietnamkrieg ausgesprochen hatte, warf Michael Verhoevens Film „o. k.“ vor, dass er gegen die Satzungen des Festivals in Bezug auf das Prinzip der Völkerfreundschaft verstoßen würde. Verhoevens keinesfalls kunstvoll gemachter Streifen kleidete eine 1966 tatsächlich vierfach vollzogene Vergewaltigung amerikanischer Soldaten an einer Vietnamesin ins bayrische Gewand. – und provozierte damit fast den Abbruch der 20. Internationale Filmfestspiele Berlin. Am Ende gehörte die Jury zu den Verlierern und zog unverrichteter Dinge ab. „o. k.“, den Stevens für „antimamerikanisch“ hielt, wurde später zum Festival nach San Franzisko eingeladen. Von den Amerikanern... George Stevens starb 70jährig am 8. März im kalifornischen Lancaster an einer Herzattacke– fast vergessen von der „Traumfabrik“, der er vormals einige ihrer größten Erfolge beschert hatte. Auch eine amerikanische Tragödie.

 

Marc Hairapetian

DVD-Tipp:

„Ein Platz an der Sonne“ ist soeben in der Paramount Collection (P 452502, 7.99 Euro) erschienen. Die DVD bietet neben der Originalversion auch die Synchronisationen in deutscher, französischer, spanischer und italienischer Sprache. Extra Features sind der Kinotrailer, retrospektive Interviews mit Darstellern und Crew sowie ein George-Stevens-Special mit Kommentaren anderer Regisseure, die ihn kannten und/oder von ihm beeinflusst wurden.