Homme fatale und Urfaust
Zum Tod des Ausnahmedarstellers Will Quadflieg
Von Marc Hairapetian
Homme fatale und Urfaust
Zum Tod des Ausnahmedarstellers Will Quadflieg
Von Marc Hairapetian
Dass Will Quadflieg ein begnadeter Theaterschauspieler und Rezitator war,
ist hinreichend bekannt, dass er vor, während und kurz nach dem Zweiten
Weltkrieg auch ein umjubelter Filmstar war, weiß heute kaum noch jemand.
Denn selbst seinen größten Kinotriumph verbindet der Zuschauer
von heute, mit den Brettern, die dem Ausnahmedarsteller mit dem klangvollen
Stimmvolumen sein ganzes Leben lang die Welt bedeuteten: Peter Gorskis international
erfolgreicher „Faust“-Film von 1960 ist nicht mehr, aber auch
nicht weniger als abgefilmtes Theater der grandiosen Gründgens-Inszenierung
am Hamburger Schauspielhaus Ende der 1950er Jahre. Umso cineastischer ist
Quadfliegs Auftritt als „homme fatale“ in Max Ophüls verspieltem
Cinemascope-Wunder „Lola Montez“ (1955). Als dandyhaft gekleideter
Komponist Franz List mit glattgebügelten Schiller-Locken und blutrot
geschminkten Lippen verführt er die von Martine Carol verkörperte
Skandal-Tänzerin, um sie am Ziel seiner Begierden angelangt, wieder fallen
zu lassen. Schließlich ruft seine wahre Liebe: La musica. Nicht nur
Darstellungsstil und Dekors wirken in diesem Reigen falscher, wahrhaftiger
und artifizieller Gefühle bewusst stilisiert, der Saarbrücker Meisterregisseur
ließ sogar ganze Landstraßenzüge samt Bäumen ocker streichen,
damit die Kutsche der Lebedame besser zur Geltung käme. Ophüls wollte
Quadflieg gerne für weitere Filmprojekte gewinnen, doch der frühe
Tod des Poeten unter den deutschen Filmemachern verhinderte dies. Und so machte
Quadflieg eine über ein Vierteljahrhundert andauernde Leinwandpause,
bis er 1985 mit dem Selbstfindungsdrama „Die Reise“ in die Kinosäle
zurückkehrte. Die Rolle eines zu NS-Zeiten schuldig gewordenen Vaters
war für den am 15. September 1914 in Oberhausen geborenen Akteur zugleich
ein Stück Selbstreflexion über die eigene Rolle als junger, protegierter
Künstler im Dritten Reich.
Quadflieg, der sich später immer wieder selbstkritisch als „unpolitischen
Mitläufer“ im Hitler-Regime bezeichnete, wirkte nach seinem Spielfilmdebüt
in Ralph Arthur Roberts „Der Maulkorb“ (1937), einer gemäßigten
Satire auf das Obrigkeitsdenken zu wilhelminischen Zeiten, in den nazistischen
Propaganda-Streifen „Mein Leben für Irland“ (1940) und „GPU“
(1941/42) mit. Weitgehend unideologisch waren die opulenten UFA-Melodramen
„Das Herz der Königin“ (1939/40) und „Kora Terry“
(1940), in denen man den damaligen weiblichen Superstars Zarah Leander und
Marika Rökk den weltläufigen Elegant mit dem glutäugigen Blick
zur Seite stellte. Vorderrangig Künstler- und Arztrollen gab Quadflieg
auch in den Lustspielen und Liebesgeschichten der Wirtschaftswunder-Ära.
In „San Salvatore“ (1955) stand er mit seiner Lieblingsbühnenpartnerin
Antje Weisgerber, die wiederum die Witwe seines großen Schauspieleridols
Horst Caspar war, erstmals gemeinsam vor der Leinwand. Zum Jahreswechsel 1952/53
hatte er die Totenrede bei der Gedenkfeier des viel zu früh verstorbenen
Freundes und Kollegen gehalten, mit dem er an dem von Heinrich George geleiteten
Schillertheater in den 1940er Jahren gemeinsam Theatergeschichte geschrieben
hatte.
Will Quadflieg, dessen Sohn Christian ebenfalls längst zum angesehenen
Charakterdarsteller avanciert ist, wirkte gelegentlich auch in Fernsehproduktionen
mit – vom „Kommissar“ bis zu „Der große Bellheim“.
Seit den 1980er Jahren engagierte sich der vielleicht strahlendste Fixstern
ganzer Generationen von deutschen Schauspieler-Eleven intensiv in Belangen
jenseits des künstlerischen Rahmens. Der bis zuletzt wache Geist fühlte
sich stets der „Partitur der Dichtung“ verpflichtet. Für
ihn war „Sentimentalität der Todfeind des echten Gefühls“.
So schloss er sich der Friedensbewegung an und war ein leidenschaftlicher
Tierschützer. Am 27. November starb Will Quadflieg im Alter von 89 Jahren
in Hamburg an den Folgen einer Lungen-Embolie, doch die ausdrucksstarke Stimme
von „Faust“ und „Jedermann“, „Peer Gynt“
und „Der kleine Prinz“ lebt auf zahlreichen Tonträgern weiter.
Am 18. Januar erklingt sie bei einer Gedenkveranstaltung im Hamburger Thalia-Theater
wieder.
Marc Hairapetian