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Andreas Dresen oder das wiedergefundene Lachen

Interview mit Regisseur Andreas Dresen zu "Timm Thaler oder das verkaufte Lachen" (deutscher Kinostart: 2. Februar 2017)

Von Marc Hairapetian

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 Marc Hairapetian: Stimmt es, dass du "Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen" zuerst unbedingt mit dem 2011 verstorbenen Produzenten Bernd Eichinger verfilmen wolltest?

 Andreas Dresen:Stimmt. Ich habe "Timm Thaler" als Kind gelesen, da war ich zehn. Es war Anfang der 1970er Jahre, das Buch war in der DDR als Paperback-Ausgabe erschienen. Es war ein extrem zerfleddertes Exemplar, das ich da hatte. Ich las es drei, vier Mal; das war so spannend und hat mich richtig fasziniert.Wahrscheinlich habe ich damals schon gedacht, als mein Berufswunsch "Regisseur" noch weit entfernt gewesen ist: Das müßte doch auch ein toller Film sein! Dann trägt man es über die Jahre immer im Herzen herum, auch wenn stets andere Themen und Projekte mehr in den Vordergrund getreten sind. So habe ich ab 2000 mit einer Autorin und Bernd Eichinger über vier Jahre zusammen einen Film für Erwachsene entwickelt, und wir haben das nicht wirklich so hingekriegt, daß wir zufrieden waren..

 Marc Hairapetian: Handelte es sich dabei schon um "Timm Thaler" für ein erwachsenes Pub-likum?

 Andreas Dresen:Nein. Das war ein anderer Stoff für Erwachsene. Die existierende Buchvor-lage ließ sich nicht ohne weiteres in einen Film übersetzen. Dies ist mir auch nicht zum ersten Male passiert, so etwas kommt häufiger vor, und ich finde es dann schlauer zu sagen: "Laßt uns jetzt nicht das viele Geld ausgeben, damit wir dann einen mittelmäßigen Film daraus ma-chen. Wir cancelten es dann und gingen abends gemeinsam noch etwas essen und trinken. Da stellte mir Bernd Eichinger eine Frage, die Produzenten meist zu selten einmal stellen: "Wo-rauf hättest du selbst denn einmal Lust?" Und ich sagte: Ich würde wahnsinnig gern einmal etwas für Kinder machen. Bernd schaute mich etwas irritiert an und wollte wissen: "Was stellst du dir da vor?" Meine Antwort kam etwas aus der Hüfte geschossen: "Ich wundere mich, dass eines meiner liebsten Kinderbücher, ´Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen´ von James Krüss noch nie für das Kino verfilmt wurde. Und darauf entgegnete Bernd Eichinger: "Da haben wir die Rechte!" Das war dann im Prinzip, wie Constantin Film, "Timm Thaler" und ich zusammen gekommen sind. Oliver Berben hatte das Projekt schon zu Bernds Zeiten betreut und das Buch ebenfalls sehr geliebt. So entwickelten wir das dann gemeinsam über all die Jahre.

Größere Ansicht anzeigen Charlie Chaplin sagte: "Ein Tag ohne Lachen ist ein verlorener Tag!" Arved Friese & THE SPIRIT aka Marc Hairapetian

 Marc Hairapetian: Kanntest Du die westdeutsche Kult-Fernsehserie von 1979? Hast du diese etwa in der DDR heimlich gesehen?

 Andreas Dresen:Das ist völlig an mir vorbeigegangen, obwohl ich regelmäßiger West-Fernsehgucker war. Nun ja, vielleicht war ich auch schon altersmäßig ein bisschen darüber, da war ich schon siebzehn, kurzum, ich kann mich überhaupt nicht daran erinnern.

 Marc Hairapetian: Hast du sie inzwischen gesehen?

 Andreas Dresen:Ich habe sie dann viel später gesehen. Sie hatten damals einen völlig anderen Ansatz. Sie übersetzten die Geschichte einfach in ihre Zeit: Timm Thaler mit Skateboard, die Eltern leben im 1970er Jahre-Reihenhäuschen. All diese Dinge hatte ich für mich von An-fang an ausgeschlossen, also Timm Thaler im Film in die Gegenwart zu transformieren, weil ich das Gefühl habe, wenn man so etwas macht, altert der Film rasant. Schon übermorgen sind die Handys von heute alte Handys. Es ist mir also lieber wie bei James Krüss, der mit seinen Mitteln auch ein Märchen erzählt mit einer Rahmenhandlung, die nach dem Zweiten Welt-krieg spielt. Und dann berichtet die Titelfigur aus der Erinnerung von ihrer Geschichte, die vom Setting her in den 1920er Jahren angesiedelt ist. Aber eben nicht in den historischen 1920er Jahren, also nicht in der Weimarer Republik mit dem aufkommenden Faschismus. Die Zwanziger als Ausgangspunkt für ein Märchen! Das fand ich persönlich immer unheimlich schön. Ich mag die 1920er Jahre von der Optik her.

 Marc Hairapetian: Ist "Timm Thaler" ein zeitloses Märchen?

 Andreas Dresen:Letztendlich sollte es das tatsächlich sein und das ist auch unser filmischer Ansatz: Wir fangen in der Kostüm- und Ausstattungswelt der 1920er Jahre an, ohne dass es die historische Zeit ist. Und je mehr der Teufel ins Spiel kommt, je mehr wir die Welt von Lefuet betreten, um so mehr wird es auch eine phantastische Geschichte. Der Teufel ist ja eine Fantasiefigur, die alles kann und alles darf. Und wir haben uns dann natürlich herausgenom-men, zu spielen. Die Kostüme wechseln beim Teufel die ganze Zeit über. Er ist nicht zu grei-fen, der sieht einmal so und einmal so aus, passt sich sehr chamäleonartig den Figuren an, mit denen er zusammen ist. Wenn er zu Timms Freundin Ida geht, trägt er plötzlich ein gelbes Jackett - und sie hat doch zu Anfang ein gelbes Kleid an! Er sieht zu, dass er optisch zu den Leuten passt, mit denen er zu tun hat. Und darüber hinaus kann er sich natürlich auch an tech-nischen Spielereien alles erlauben, was auch in die Neuzeit verweist. Das war für uns immer wieder ein großer Spaß, Filmzitate zu verwenden - und auch dem Erwachsenen-Publikum Dinge zu geben, wo man vielleicht Spaß daran hat.

 Marc Hairapetian: Kannst du dich noch gut daran erinnern, was dich damals an dem Buch so sehr fasziniert hat?

 Andreas Dresen:Ich fand das natürlich als Kind immer hoch spannend: Jemand verkauft sein Lachen. Dazu kam die Vorstellung, dass man mittels Wetten alles bekommen kann, was man will. Und dann hat mir auch total gefallen, dass es auch eine politische Geschichte war. James Krüss hat das nicht ohne Grund Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre als Reflex auf diese "Wirtschaftswunder"-Zeit geschrieben. Vielleicht auch um zu sagen: Es gibt noch ein paar andere Werte, liebe Freunde, als immer nur erfolgreich und reich zu sein! Alles das nimmt in dem Buch ziemlich großen Raum ein. Das zusammengenommen finde ich bis heute faszinierend. Das darin so etwas Ur-Deutsches steckt. Diese "Faust"-Geschichten, gerade die in Bearbeitung von Goethe, mag ich. Man ist damit groß geworden.

 Marc Hairapetian: Du hast doch einmal den "Ur- Faust" inszeniert!

Größere Ansicht anzeigen Thomas Ohrner als Timm Thaler 1979

 Andreas Dresen:Genau. Das finde ich nach wie vor eine ausgesprochen faszinierende Ge-schichte. Auch "Peter Schlemihl" von Adelbert von Chamisso. Wir kennen diese Geschichten, die mit dem Schauer spielen, einen Pakt einzugehen. Bei James Krüss ist es natürlich beson-ders interessant, weil den Pakt ein Kind abschließt. Was ich immer toll fand und finde, ist die Auflösung der Geschichte, die wirklich originell ist und wo man erst einmal darauf kommen muß. Da hat unser Drehbuch-Autor Alexander Adolph noch einmal eine Schippe draufgelegt, weil er das, was in dem Roman als Plot angelegt ist, noch einmal eine Stufe verschärft hat und Timm (ähnlich wie es in der "Schneekönigin" von Hans Christian Andersen oder im "Kalten Herz" von Wilhelm Hauff der Fall ist) auch noch die Fronten wechseln lässt.

 Marc Hairapetian: Aber da habe einen Kritikpunkt: Die Freundin von Timm Thaler , die ihre Augen an den Teufel verkauft, bekommt sie durch eine von Timm vorgeschlagene Wette wieder zurück. Dann hätte er doch eigentlich schon selbst viel früher erkennen müssen, dass er mit dem Zurückwetten sein eigenes Lachen wiederbekommen könnte - und nicht erst am Schluss mit der Hilfe seiner Freunde.

 Andreas Dresen:Das hätte er erkennen können, er darf es bloß nicht! Das ist von James Krüss schon im Roman sehr raffiniert konstruiert worden, weil Timm das niemandem erzählen darf. In dem Moment, wo er diese Wette vorschlägt, legt er damit ja seinen Vertrag offen und da-mit verliert er alles. Selbst wenn er es erkennen würde, könnte er diese Option nicht ziehen. Das muß also jemand von außen erraten. Letztendlich ist dann Kreschimir derjenige, der Schritt für Schritt hinter das Geheimnis kommt und von dem die Idee mit der Schlusswette mit Sicherheit auch stammt.

 Marc Hairapetian: Hätte der "alte" Timm Thaler, Tommi Ohrner, im Film nicht Timm´s Vater spielen können?

 Andreas Dresen:Das wäre mir zu viel gewesen, eine zu große Sequenz, da hatte ich dann die Befürchtung, dass das zu viel Aufmerksamkeit erregt, noch dazu am Filmanfang, das gäbe ein falsches Gewicht.

 Marc Hairapetian: Wie bist du auf Arved Friese als Timm Thaler gekommen?

 Andreas Dresen:Man braucht einen Jungen, der sehr ansteckend lachen kann, der großen Charme hat. Das Hauptproblem ist aber: Während achtzig Prozent der (Film-)Zeit darf der Junge ja gar nicht lachen - überwiegend muss er sehr ernst "funktionieren". Unser Junge sollte zwölf sein, an der Grenze zum Erwachsenen. Wenn man Arved Friese jetzt sieht (die Drehar-beiten sind ein Jahr her), ist er mittlerweile ein junger Mann geworden. Wir hatten nur ein hal-bes Jahr Zeit, in dem wir uns unendlich viele Jungen angeschaut haben. Drehtechnisch sind die Gesetze in Deutschland sehr streng. Zu Recht. Man darf mit Kindern am Set nur eine eng begrenzte Zeit arbeiten, nämlich vier Stunden am Tag. Wir hatten eine Sondergenehmigung für sieben Stunden, dafür muss ein Kind aber sehr gut in der Schule sein. Was macht man da mit einem Film, wo der Junge eigentlich die ganze Zeit dabei ist? Da wird dann auch mit ei-nem Double gedreht. Bei einigen Aufnahmen ist er deshalb im Film nur von hinten zu sehen. Arved ging übrigens von Anfang an durch sämtliche Castings hindurch und wurde es am Schluss dann auch. Er hat mich als Timm Thaler von Anfang an überzeugt.

 Marc Hairapetian: Stichwort Justus von Dohnányi. Wenn man die Kultserie der 1970er be-trachtet, finde ich persönlich, dass man es besser als Horst Frank nicht machen kann. Er hat den teuflischen Baron wirklich smart und diabolisch zugleich verkörpert. Bei dir ist der Ansatz ein etwas anderer: Allein schon von seiner Physiognomie, ist der Teufel etwas feister, kräftiger als der von Horst Frank. Wie war das in der Entwicklung mit dem Drehbuchautoren, wolltet ihr eine ganz andere Art von Teufel?

Größere Ansicht anzeigen Der legendäre Soundtrack "Timm Thaler" (1979) von Christian Bruhn

 Andreas Dresen:Ja. Ich dachte immer, Lefuet müsse jemand sein, der viel Humor mitbringt, deshalb wollte ich ihn auch mit Justus von Dohnanyi besetzen. Ich mag die Slapstick-Elemente in den Szenen. Wenn der Teufel besonders diabolisch sein will, haut es oft nicht hin, zum Teil wird er so auch zum Sympathieträger. Am Ende des Romans ist es von James Krüss wunderbar geschrieben, dass er wie eine traurige Gestalt dasteht. Eigentlich tut er einem fast ein wenig leid! Er möchte im Grunde so wie die Menschen sein: Er möchte lachen können, er möchte die schönen Augen haben! Mit anderen Worten: Er möchte auch geliebt werden, all der Scheiße zum Trotz, die er macht! Seine Figur muss auf diese Weise sehr ambivalent sein. Er ist zwar im Großen und Ganzen ein richtiges Schwein, hat aber doch so einige Momente, wo man ihn auch sehr gut verstehen kann in seiner Sehnsucht. Nur Böse interessiert mich nicht, weder im Leben, noch im Film.

 Marc Hairapetian: Wie seid ihr denn auf die CGI-Spielereien mit den beiden Ratten gekom-men? Die hat es in der Vorlage so nicht gegeben. Bei euch werden die beiden von Axel Prahl und Andreas Schmidt verkörperten Handlanger des Barons kurzerhand in diese possierlichen Tierchen verwandelt.

 Andreas Dresen:Es war eine Erfindung unseres Drehbuchautors Alexander Adolph. Die in Ratten verwandelte Figuren sind inspiriert von James Krüss. Es gibt sie bei ihm zu Beginn auf der Pferderennbahn, diese Taschenspielerjungs, die den Timm dort beklauen. Die gehen dann im Verlauf des Romans verloren. Ich mag es, wie Alexander es geschafft hat, diese Figuren aufzugreifen und sie im dramatischen Sinne in die Geschichte zu integrieren. Sie sind nicht nur ein Komiker-Pärchen, sie tragen auch wesentlich zur Klärung der Geschichte bei - wie sie mehr und mehr die Front wechseln und sich auf Timms Seite schlagen. Ich mochte diese Figu-ren sehr und dass sie von Lefuet auf ihn angesetzt werden. Um wieder zum Slapstick, zum Komödiantischen zu kommen: Da trifft der Baron eine komplett falsche Personalentschei-dung: Die eine Figur frisst einfach zu gerne, und die andere ist zu mitfühlend. Damit hat er schon verloren!

 Marc Hairapetian: In eurer Version des Märchens wird auch viel mit der Optik von techni-schen Geräten gespielt. Assoziation zu Handys, den Kindern in ihrer heutigen Lebenswelt be-kannt - ein Verweis auf die ständige Erreichbarkeit. Ist das auch ein Seitenhieb auf den Kapi-talismus im eigentlichen?

 Andreas Dresen:(lacht herzlich) Der Baron sagt dann auch an einer Stelle: `Das ist übrigens mobile Kommunikation - die Zukunft des Bösen!`

 Marc Hairapetian: Und was ist mit der Kapitalismuskritik aus dem Roman"Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen?

 Andreas Dresen:Die Kapitalismuskritik ist im Roman immanent. Da gibt es die Scheren-schleifer. Da gibt es Timm Thaler, der als Werbegesicht für Margarine über eine große Strecke der Erzählung herhalten muss. Ich fand den moralischen Aspekt der Geschichte neben dem abenteuerlichen durchaus wichtig. Eine Geschichte, der es um Werte geht: Was ist eigentlich wichtig im Leben? Ist es wichtig, der reichste Mann der Welt zu sein? Und was gebe ich preis, wenn ich mein Lachen verkaufe? Schlussendlich erweist sich die Freundschaft als das, was Timm dann aus der Patsche hilft. Das ist etwas, was man Kindern vermitteln kann, ohne in den Gestus des erhobenen Zeigefingers zu verfallen. Wir leben nun einmal nicht in der besten aller möglichen Welten. Da darf die Geschichte auch einen Schlag ins Politische bekommen. Ich gehöre nicht zu den Erwachsenen, die Kinder politischen Dinge vorenthalten, um sie im Kino etwa permanent zu unterfordern mit irgendwelchen Albernheiten. Unser Drehbuchautor hat die Geschichte ja sehr zu einer Modellwelt verdichtet: Da gibt es die Welt der Armen, also die Timm-Thaler-Welt, und es gibt die Welt der Reichen mit nur einem einzigen filmischen Bild, diesem Grand Hotel - und es gibt eine dritte Welt, wo man von Reich zu Arm werden kann - die Pferderennbahn, den Transformationsort. Und über all dem thront der Baron, der versucht, all das in seinem Sinne zu benutzen. Das ist das Prinzip. Auf diesen Pfeilern ruht der ganze Film, viel mehr Drehorte gibt es eigentlich auch nicht. Und dass Alexander Adolph das dann noch einmal aufgefangen hat in diesem Bild der Modelleisenbahn, wo wir dann auch mit der Kamera hineinfahren - und plötzlich sind wir wieder in der Realität, wie bei einem Spie-gel der Dinge, das hat mir sehr gefallen. Wenn Timm beginnt, die Weichen seiner Modellbahn falsch zu stellen, könnte das auch ein reales Unglück sein, was er auslöst.

 Marc Hairapetian: Es gibt eine Fortsetzung von James Krüss, "Timm Thalers Puppen, oder die verkaufte Menschenliebe", wo Timm Thaler bereits erwachsen ist. Das Buch ist stilistisch ganz anders, viel anspruchsvoller auch vom Schreibstil her und spielt in einer Art von Mario-nettentheater. Gesetzt den Fall, du liest das einmal: Wäre es für dich interessant, eine Fortset-zung anzugehen, also einen Film über Timm Thaler als Erwachsener?

 Andreas Dresen:Nun, ich müsste diese Fortsetzung erst einmal lesen, um herauszubekommen, was dort das Zentrale ist. Es geht darin wohl um das verkaufte Weinen. Als er das schrieb, wohnte James Krüss schon auf den Kanarischen Inseln. Ich bin ansonsten kein großer Freund von Fortsetzungen. Im Kino aber ist es leider gang und gäbe, Prequel und Sequel, alle Ge-schichten davor und danach, beispielsweise bei `Krieg der Sterne`, in Angriff zu nehmen.

 Marc Hairapetian: Der Roman"Timm Thaler oder das verkaufte Lachen" ist in seiner mär-chenhaften Einfachheit geradezu genial, ausgestattet mit einer wunderbaren Sprache, die in kurzen Sätze komplexe Inhalte vermittelt. Ich fände aber eine Fortsetzung dennoch sehr reiz-voll. Doch wechseln wir einmal das Thema. Steht denn ein neues deiner Projekte schon an?

 Andreas Dresen:Ich würde gern einen Film über Gerhard Gundermann machen. Er war ein toller Rockmusiker und Liedermacher, der ganz plötzlich mit 43 Jahren verstarb. Ein Mann, der gleichzeitig im Tagebau als Baggerfahrer gearbeitet und abends auf großen Bühnen ge-standen hat! Er spielte mit seiner Band Anfang der 1990er sogar als Vorgruppe von Bob Dylan.

 Marc Hairapetian: Kanntest du ihn persönlich?

 Andreas Dresen:Ich kannte ihn nicht persönlich, habe ihn aber im Konzert gesehen. Es gab die interessante Wendung, dass er in den 1970er Jahren aus purem Idealismus für die Stasi arbeitete und dann damit abrupt aufhörte - und so vom Spitzel zum Bespitzelten wurde, den man selbst beschattete. Er war eine ganz spannende, brüchige Persönlichkeit. Anhand seiner Geschichte kann man gut erzählen, was es bedeutet, sich mit einem System einzulassen und in welche Konflikte man dabei gerät. Das ist hochpolitisch! Einen Film darüber würde ich sehr gerne machen, doch das steht noch in den Sternen, vor allem die Finanzierung. Und die wird bei diesem Stoff nicht ganz einfach.

 Marc Hairapetian: Kommen wir wieder zu "Timm Thaler" zurück. Wie habt ihr die Musik zu dazu gefunden? Sie erinnert ein wenig an "Mary Poppins"!

 Andreas Dresen:"Es war von Anfang an klar, dass ein großes Orchester dabei sein wird. Das habe ich noch nie gemacht. Ich habe hingegen mehrere Filme komplett ohne Musik gemacht. Aber hier war der Gedanke: Ein Märchenfilm ohne Musik geht gar nicht, und ich habe dann mit mehreren Musikstücken aus anderen Filmen herumexperimentiert, um die passende Tonla-ge finden zu können. Dann fanden wir heraus, dass viele der im Schnitt ausprobierten Musik-stücke von einem jungen Komponisten aus Potsdam stammten, nämlich von Johannes Repka, der zum Beispiel für David Wnendts "Kriegerin" den Score schrieb. Johannes sprachen wir dann an. Er war hocherfreut und machte sich für uns gleich an die Arbeit. Gemeinsam haben wir versucht, die Tonlage zu finden. Er hat das für einen solchen Märchenfilm sehr fantasie-voll gemacht. Bei den Orchesteraufnahmen war ich dabei. Eine ausgesprochen schöne Erfah-rung für mich.

 Marc Hairapetian: Die Farbe der Musik ist auch eine andere als bei der Fernsehserie von Re-gisseur Sigi Rothemund. Das Titelthema vom Christian Bruhn ist dort sehr melancholisch. Thomas Ohrner erzählte mir, Sigi Rothemund hätte ihn gefragt: "Was hörst Du für Musik?" Thomas Ohrner antwortete: "Pink Floyd!" Und Christian Bruhn komponierte dann, wenn Timm auf dem Hauptwohnsitz des Barons auf der Insel Aravanadi ist ein Thema mit Synthesi-zer und psychedelischer Gitarre. Das ist auch sehr stark. Bei euch ist die Musik viel fröhlicher.

 Andreas Dresen:Wir haben versucht, das Märchenhafte der Erzählung zu betonen. Wir haben dabei viel experimentiert zum Beispiel mit Marimbaphon und Vibraphon.

 Marc Hairapetian: Mit welchen Kinderfilmen bist du groß geworden?

 Andreas Dresen:Ich bin mit den DEFA-Filmen und den klassischen osteuropäischen Mär-chenfilmen aufgewachsen. Von den 17, 18 DEFA-Filmen im Jahr waren immer mindestens drei Kinderfilme dabei, vom "Kleinen Muck" bis zum "Kalten Herz", auch Aktuelleres, mär-chenhafte Gegenwartsfilme sozusagen, zum Beispiel Rolf Losanskys "Moritz in der Litfaß-säule". Aber auch die russischen Filme liebe. Diese sehr liebevoll und aufwendig gedrehten Filme, wo zu merken ist, dass die Kinder dort auch ernst genommen werden. Also Kinderfil-me, die sowohl Ernst als auch Anspruch miteinander verbinden. In Deutschland gibt es leider häufig diese Trennung: Filme hier etwas albern für Kinder, da für Erwachsene ernsthaf-ter. Warum eigentlich? Ich würde unheimlich gern wieder einen Kinderfilm drehen!

 Marc Hairapetian: Gibt es beim Regie führen mit Kindern noch eine andere Komponente? Vielleicht die zur Verantwortung hin, die man dabei hat?

 Andreas Dresen:Nun, ob für Kinder oder Erwachsene, sollte man im Grunde nicht unter-scheiden. Andererseits: Kinder sind das viel kritischere Publikum. Das wurde immer wieder getestet: Sobald da etwas langweilt, man den Faden fallen lässt, entsteht sofort Unruhe. Ich habe einmal in einem solchen Test im Hintergrund ganz ruhig und bescheiden gesessen. Wir haben bei "Timm Thaler" auch zwei Szenen umgeschnitten. Kinder muss man auch noch ein-mal ganz anders ernst nehmen, weil sie nicht diesen Höflichkeits-Aspekt von Erwachsenen haben, die dann doch sitzen bleiben und sich nicht trauen, Langeweile auszudrücken. Bei de-nen hat die ganze soziale Erziehung eben schon gegriffen. Kinder steigen dann einfach aus, "kein Bock mehr" - wie ich finde, haben sie eine sehr viel natürlichere Art zu sehen. So schön, wenn sie geradeheraus, unverdorben ausdrücken, wo sie es langweilt.

 Marc Hairapetian: Du hast einen sehr guten Ruf am Set. So wie Oskar Werner über Stanley Kramer gesagt hat, er sei wie ein Gärtner, der die Schauspieler sich entfalten läßt. Ist das auch dein Regie-Credo - oder ist es eher so, dass Du manchmal konsequente Härte aufzubringen hast, um den Schauspielern das Ziel zu zeigen?

 Andreas Dresen:Wer bin ich eigentlich? (überlegt einen Augenblick) Ich brauche tatsächlich eine gewisse Harmonie beim Arbeiten. Eigentlich geht´s bei mir fast immer lustig und freund-lich zu am Set. Was nicht bedeutet, ohne jede Schwierigkeiten. In der ersten Drehwoche hat-ten wir fast 400 Leute am Set - da muss man schon zuweilen die Stimme erheben. Nicht im aggressiven Sinne, es muss einfach geführt werden, bei einer Unternehmung mit so vielen Leuten wird jemand in der Mitte gebraucht, der klare Ansagen macht! Es passiert beim Dre-hen so viel, die Koordination von all den Regen- und Windmaschinen plus 200 Komparsen inbegriffen. Führung also ja, ich war aber beim ganzen Dreh nicht einmal aufbrausend oder aggressiv. Es gibt sicher Regie-Kollegen, die damit sehr gut durchkommen - ich will damit sagen: Es ist nicht Bedingung für das Filmemachen, dass man freundlich ist! Jeder hat seine ganz eigene Art, zum Ziel zu kommen, aber ich persönlich bin niemand, der unter aggressiver Anspannung gut arbeiten kann. Ich brauche die Kollegen, damit man sich Bälle zuspielen kann. Die bringen ja viele gute Ideen hinein, es macht dann einfach mehr Spaß.


Film Review "Timm Thaler oder das verkaufte Lachen"

Das Interview mit Andreas Dresen führte Marc Hairapetian am 14. Dezember 2016 im Berli-ner Hotel de Rome für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.de / www.spirit-fanzine.com

Die Fotos von SPIRIT-EIN-LÄCHELN-IM-STURM-Herausgeber Marc Hairapetian mit An-dreas Dresen und "Timm Thaler"-Darsteller Arved Friese machte Heiko Lehmann für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.de / www.spirit-fanzine.com