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Ennio Morricone & THE SPIRIT aka Marc Hairapetian (Foto: Vo Nguyen Kieu Oanh für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM)

Spiel's noch einmal, Ennio!

Zu Besuch bei Maestro Morricone in der "ewigen Stadt"

Von Marc Hairapetian

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In Rom kommt in der allgemeinen Gunst zuerst der Papst Franziskus, gleich danach aber Ennio Morricone. Ehrfürchtig fragt einen der Hotelier: "Erwartet Sie wirklich morgen der Maestro bei sich zu Hause?" Klassiker des Italowesterns wie "Zwei glorreiche Halunken" (1966), "Spiel mir das Lied vom Tod" (1968) oder "Leichen pflastern seinen Weg" (ebenfalls 1968) sind untrennbar mit seinen innovativ-coolen Kompositionen verbunden. Dabei machen die Soundtracks für dieses Genre nur einen Bruchteil seines gewaltigen Gesamtwerks aus, das auch nicht-filmmusikalische, avantgardistische Aufnahmen des Anton-Webern-Verehrers beinhaltet. Der am 10. November 1928 im römischen Stadtteil Trastevere geborene ehemalige Trompeter hat für annähernd alle bedeutenden Regisseure der letzten sechs Jahrzehnte Scores geschrieben und sogar Popbands wie auch Vertreter der Clubszene mit seinen unorthodoxen, mitunter durchaus tanzbaren Klängen inspiriert. Nur selten gibt er Interviews und erst recht nicht in seinem Anwesen im Herzen der "ewigen Stadt", das in seiner Pracht fast einem Palazzo gleicht und neben Morricone und seiner Frau von uniformierten Bediensteten bevölkert wird. Ausnahmen bestätigen die Regel: Diesmal lud das vielleicht größte Genie der Filmmusik Marc Hairapetian an einem spätsommerlich heißen Septembertag zu einem Hausbesuch ein. Der schmächtige Mann mit der charakteristischen schwarz umrandeten Brille wünscht selbst mit "Maestro" angesprochen zu werden, aber das ist die einzige Extravaganz, die er sich erlaubt. Aufgeräumt und von wacher Intelligenz geleitet erzählt Morricone, der Anfang nächsten Jahres nochmals mit großem Orchester auf Welttournee geht, von neuen Soundtrack-Projekten wie Quentin Tarantinos "The Hateful Eight" und gibt filmhistorische Anekdoten zum Besten, wobei er auch von einer schwerwiegenden Entscheidung berichtet, an der eine enge Freundschaft zerbrach.

Größere Ansicht anzeigen Maestro Morricone im Interview (Foto: Vo Nguyen Kieu Oanh für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM)

 Marc Hairapetian: Maestro, betreibt man als Filmkomponist ein einsames Geschäft oder tauschen Sie sich mit anderen Filmkomponisten auch manchmal aus?

 Ennio Morricone: Jeder macht seins. Und ich komponiere tatsächlich am liebsten im "stillen Kämmerlein", wenn auch mein Hauptwohnsitz hier in Rom, wie Sie sehen, recht geräumig ist. Natürlich habe ich Kontakte zu anderen Filmkomponisten. Wir reden miteinander, aber selten spezifisch über Musik. Eine sehr freundschaftliche Beziehung unterhielt ich zum 2009 verstorbenen Maurice Jarre, dessen monumentale Filmmusiken für die David-Lean-Filme "Lawrence von Arabien", "Doktor Schiwago" und "Reise nach Indien" ich sehr bewundert habe. Aber den engsten Komponisten-Kontakt habe ich natürlich zu meinem Sohn Andrea, der ja 1991 seine Karriere an meiner Seite mit der Filmmusik zu "Cinema Paradiso" begann.

 Marc Hairapetian: Sie haben 40 Jahre nach "Nobody ist der Größte" wieder den kompletten Score zu einem Western geschrieben, nämlich für Quentin Tarantinos "The Hateful Eight", der zu Weihnachten in den USA und hierzulande im Januar in die Kinos kommen wird. Nun verhält es sich so, dass Tarantino Sie bereits 2012 bei "Django Unchained" für die gesamte Filmmusik gewinnen wollte, Sie aber nur ein neues Stück zur Verfügung stellten. Wie konnte er Sie diesmal überzeugen, die Rückkehr zum Italowestern zu beschreiten?

 Ennio Morricone: Er ließ einfach nicht locker. Quentin Tarantino war im Juni zu Besuch in Rom, wo er bei der "David di Donatello"-Verleihungszeremonie Hof hielt. Am Tag vorher hatte er sich mit mir getroffen und mich mit seinem Enthusiasmus überzeugt, die Filmmusik für "The Hateful Eight" zu schreiben. In Prag nahmen wir die Musik inzwischen auf. Er war mit dabei. Kürzlich schickte ich ihm die fertige Musik in die USA. Jetzt ist er mit seiner Crew beim Film- und Tonschnitt. Meine Musik wird also derzeit in "The Hateful Eight" eingearbeitet.

 Marc Hairapetian: Haben Sie kompositorisch versucht, sich dem doch sehr dekonstruktivistischen Stil von Tarantino, der die alten Filmmythen nicht nur verherrlicht, sondern sie auch ironisch aufbricht, anzupassen? Oder war die Vorgabe, einen klassischen Western-Score zu schreiben, weil das Regie-Enfant-terrible so etwas auch liebt?

 Ennio Morricone: Nein, ich habe mich weder an den Kanon vom Italo-Western gehalten, noch probiert, mich Tarantinos bisherigem Stil anzupassen. Ich habe vielmehr versucht , eine Musik mit einem ganz anderen Charakter zu schreiben, als was er vielleicht aus meiner Vergangenheit heraus von mir hätte erwarten können. Tarantino war in Prag ehrlich überrascht. Er sagte: "Damit hätte ich nie gerechnet, aber es ist trotzdem fantastisch!"

 Marc Hairapetian: Haben Sie also wieder E-Gitarre, Mundharmonika und Maultrommel, jene Instrumente, die Sie als erster Filmkomponist in den Orchesterklang integrierten, ausgepackt?

 Ennio Morricone: Lassen Sie sich überraschen, aber ich kann Ihnen jetzt schon verraten, dass es einige grotesk-dramatische Elemente in dem Score gibt, die mit Tarantinos Kino assoziiert werden könnten. Aber ich setze dazu bewusst auch Kontrapunkte.

 Marc Hairapetian: Ihre Kooperation mit ihm verwundert etwas, nachdem Sie sich bei "Django Unchained" über die Verwendung Ihrer alten Stücke wie auch des einzigen neu komponierten enttäuscht gezeigt hatten...

 Ennio Morricone: Vor zwei Jahren wurden meine Äußerungen vor Studenten in Rom von vielen Medien falsch zitiert. "Django Unchained" war mir, der ja schon für einige "harte" Filme wie Sergio Leones "Spiel mir das Lied vom Tod" oder Pier Paolo Pasolinis "Die 120 Tage von Sodom" komponiert hatte, mitunter zu brutal. Gewalt um ihrer selbst Willen schreckt mich einfach ab. Dennoch habe ich allergrößten Respekt vor Tarantino und fühle mich geehrt, dass er immer wieder meine Musik in seinen Filmen einsetzen will. Fast hätte ich schon für seine bitterböse Dritte-Reich-Phantasmagorie "Inglorious Basterds" den vollständigen Score geschrieben. Doch mir wären dafür nur knapp zwei Monate Zeit geblieben, da ich die Musik zu Giuseppe Tornatores "Baaria" in Angriff nehmen musste. Tarantino ist ein Großer des heutigen Kinos. Allerdings stehe ich zur Aussage, dass sein Ansatz, verschiedene Musikstücke unterschiedlicher Komponisten oder Popgruppen in einen Film unterzubringen, mitunter nicht passend zum Gesamteindruck ist. Das konnte eigentlich nur Stanley Kubrick perfekt.

 Marc Hairapetian: Apropos Kubrick. Bei unserer ersten Begegnung im Dezember 2013 erzählten Sie mir, dass Sie ursprünglich den Soundtrack zu "Uhrwerk Orange" schreiben sollten. Hatten Sie damals eigentlich schon begonnen, etwas für Kubrick zu komponieren?

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 Ennio Morricone: Ich hatte viele Ideen, aber nein, es gibt keine alternative "Uhrwerk Orange"-Komposition in meinem Safe. (lacht) Der Kontakt zu Kubrick wurde mir Anfang der 1970er Jahre von seiner Kostümdesignerin Milena Canonero vermittelt. Sie hatte mich gefragt, ob ich eine Musik von mir aus einem früheren Film für ihn etwas nachahmen könnte. Das tue ich in der Regel nicht. Aber da ich Kubrick einen hervorragenden Regisseur finde, hätte ich hier eine Ausnahme gemacht. Es gab allerdings das Problem, dass Kubrick wegen seiner Flugangst nicht gerne reiste. Dennoch hätte ich die Musik in Rom aufnehmen dürfen. Sogar die Gage war schon klar. Und dann lehnte Kubrick aus einer Art Höflichkeit plötzlich ab. Er hatte Sergio Leone angerufen und gefragt: "Meinst Du, Morricone wird gut mit mir zurechtkommen?" Ich verstand nicht, warum er gerade ihn anrufen musste. Und Sergio sagte auch noch wahrheitsgemäß: "Natürlich, obwohl er ziemlich überlastet ist, da er momentan an der Musik zu meinem neuen Film ,Todesmelodie' schreibt." Das war der Todesstoß für meine Zusammenarbeit mit Kubrick, was ich immer noch bedaure. "Uhrwerk Orange" ist, wie Luis Buñuel treffend sagte, "der einzig wahre Film über unsere moderne Welt" geworden. Auch die Auswahl der Musik - von den synthetischen Henry-Purcell-Referenzen eines Walter Carlos bis zum aus Beethoven, Rimski-Korsakow und Elgar bestehenden klassischem Repertoire - war äußerst intelligent. Aber seien Sie versichert: Ich hätte mir auch etwas Passendes einfallen lassen!

 Marc Hairapetian: Mit dem armenischstämmigen Regisseur Henri Verneuil hatten Sie eine sehr erfolgreiche Allianz, vor allem beim Mafia-Epos "Der Clan der Sizilianer" und beim Politthriller "I wie Ikarus". Hatte er ein ausgeprägtes Musikverständnis?

 Ennio Morricone: Ich habe ihm Stücke vorgeschlagen, er hat sie gehört - und immer "ja" gesagt, auch wenn die Titelmusik beim "Clan der Sizilianer" beispielsweise eingangs gepfiffen wurde, das E-Gitarren-Riff eine Variation eines Motivs von Johann Sebastian Bach war und ich das Ganze mit süffigen Streichern und stoischen Maultrommel-Einsätzen konterkarierte. Also hat er vielleicht etwas davon verstanden, denn konservative Regisseure wären wohl seinerzeit schreiend geflüchtet. Henri Verneuil ist auch immer dem Geschmack vom Publikum auf sehr geschickte Art und Weise entgegengekommen. Beim letzten Mal, wo er mich gefragt hatte, wollte er mir plötzlich doch Vorgaben machen. Für "Mayrig", seinen wohl persönlichsten Film, der die Aufarbeitung des Völkermords thematisierte, bat er mich 1991, eine Musik im armenischen Stil zu schreiben und da habe ich abgesagt, weil das ein armenischer Komponist wirklich besser kann. Man muss auch seine Grenzen kennen. Merkwürdigerweise hat er dann mit Jean-Claude Petit einen französischen Kollegen mit dem Soundtrack beauftragt.

 Marc Hairapetian: Vermissen Sie den bereits 1991 verstorbenen Bruno Nicolai, der bei vielen Aufnahmen zu Ihren Filmmusiken das jeweilige Orchester dirigierte und den "Morricone-Sound" entscheidend mitprägte? Haben Sie nicht auch die eine oder andere Komposition mit ihm zusammen geschrieben?

 Ennio Morricone: Interessant, dass mich endlich mal jemand darauf anspricht. Natürlich vermisse ich Bruno Nicolai als Freund und als Mensch. Er war ein wirklich guter Komponist. Wir haben beide zusammen das Studium der Komposition am Konservatorium von Santa Cecilia unter dem legendären Goffredo Petrassi, der fast 100 Jahre alt wurde, mit Diplom abgeschlossen. So etwas verbindet. Es gibt aber ein großes Missverständnis.

 Marc Hairapetian: Bitten klären Sie mich und somit auch die Leser auf!

 Ennio Morricone: Alberto De Martino, der leider im Juni diesen Jahres verstarb, war ein Regisseur, der mich 1965 um die Musik für den gerade abgedrehten Western "100.000 Dollar für Ringo" gebeten hatte. Ich war zu diesem Zeitpunkt aber mit Sergio Leones "Für ein paar Dollar mehr" beschäftigt. Deshalb riet ich De Martino: "Ruf doch Bruno an!" Bruno schrieb darauf die Musik und sie war ausgezeichnet, so dass ihm De Martino auch seine nächsten drei Filme anvertraute. De Martino bat danach wieder mich bei ".und morgen fahrt ihr zur Hölle" um den Soundtrack. Ich hätte in dem Moment Zeit gehabt, fand aber die Offerte nicht so nett Bruno gegenüber. Also sagte ich De Martino: "Du kannst ihn doch jetzt nicht so fallen lassen!" Da fand De Martino folgende Lösung: "Wie wäre es, wenn ihr das beide zusammen macht?" Jeder komponierte daraufhin seinen Teil, aber es bedeutete quasi nur doppelte Arbeit für die Hälfte des Geldes, weil wir uns natürlich abstimmen mussten. Und das alles, nur um einen Regisseur einen Gefallen zu tun. Dann kamen noch weitere Filme von De Martino, nämlich 1967 "Operation ,Kleiner Bruder'", 1968 "Mord auf der Via Veneto", 1973 "Ci risiamo, vero Provvidenza?" und 1974 "Der Antichrist", wo Bruno und ich uns wieder breitschlagen ließen, die Soundtracks für ihn abzuliefern. Also es war für mich fast wie ein Urteil - wie gesagt doppelter Einsatz für die Hälfte des Salärs. Danach war ich vollkommen ausgelaugt...

 Marc Hairapetian: Ich sehe, Sie machen eine Kunstpause, damit ich Sie frage: Was ereignete sich dann?

 Ennio Morricone: Genau! Der letzte Akt dieser Geschichte verlief folgendermaßen: Bruno Nicolai wurde eines Tages von einem anderen Regisseur, dessen Namen ich bewusst nicht nenne, angerufen, und teilte mir danach freudig erregt mit: "Lass uns doch die Filmmusik wieder gemeinsam machen!" Und in diesem Moment entgegnete ich: "Bruno, unsere Zusammenarbeit endet hier." Es war nicht nur für Bruno schmerzlich, sondern auch für mich. Bis zu seinem Tod im Jahr 1991 war unser Verhältnis zueinander dadurch angespannt. Meine rigorose Entscheidung bedrückt mich heute noch. Ich traf sie aus dem Impuls heraus, weil es ja nie ein richtiges gemeinsames Komponieren war.

 Marc Hairapetian: Kann man Sie als Workaholic bezeichnen? Wie entspannen Sie sich?

Größere Ansicht anzeigen Maestro Morricone reads SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM (Foto: Vo Nguyen Kieu Oanh für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM)

 Ennio Morricone: Sie werden lachen, mitunter beim Komponieren. Ich fühle natürlich eine schwere Verantwortung, wenn ich komponiere, aber es macht mir auch Spaß, Musik zu schreiben und nach Lösungen für den Regisseur zu suchen. Es gefällt mir sehr, seine Erwartungshaltung zu unterlaufen. Manchmal bekomme ich dann Anerkennung in Form eines kleinen Begeisterungssturms von ihm. Manchmal gibt es eine etwas lauwarme Reaktion. Und manchmal wird das, was ich geschaffen habe, auch abgelehnt. Dann versuche ich die Musik zu verbessern, denn sie muss in erster Linie dem Film dienen, obwohl ich die Ambition habe, dass mein jeweiliges Werk auch für sich allein Bestand haben sollte. Das macht den Beruf nicht einfacher. Um gut mit einem Regisseur zu arbeiten, muss man lange und oft miteinander kooperieren. Und ja, der Begriff "Workaholic" trifft schon auf mich zu.

 Marc Hairapetian: Auch für Giuseppe Tornatore haben Sie wiederholt komponiert, zuletzt 2013 bei "The Best Offer - Das höchste Angebot". Könnte man sagen, dass er genau die Art von Filmen macht, bei denen Sie sich kompositorisch am besten aufgehoben fühlen?

 Ennio Morricone: Natürlich würde ich mir Filme von Tornatore auch anschauen, wenn ich nicht die Musik für ihn komponiert hätte. Der einzige seiner Filme, mit dem ich bei einer Szene Probleme hatte, war "Baaria", wo er vor laufender Kamera bei den - um das italienische Tierschutzgesetz zu umgehen - in Tunesien stattfindenden Dreharbeiten ein Rind mit einer Ahle abstechen ließ, weil er authentisch einen alten sizilianischen Brauch zeigen wollte. Er arbeitet an sich immer mit viel Fantasie und kann sogar eine simple Geschichte für den Zuschauer interessant aufbereiten. Ich freue mich, dass er derzeit eine Dokumentation über mich dreht, die unter dem Titel "Lo squardo della musica" in Italien ins Kino kommen soll. Wie sie in Deutschland heißen wird, weiß ich noch nicht. Und für seinen nächsten Spielfilm "La corrispondenza", in dem Olga Kurylenko und Jeremy Irons die Hauptrollen spielen, durfte ich wieder den Score beisteuern.

 Marc Hairapetian: Ab Mitte Januar gehen Sie wieder mit dem Czech National Symphony Orchestra auf ausgedehnte Welttournee, die Sie am 18. Februar auch für ein einziges Deutschland-Konzert nach Köln führen wird. Was für ein Repertoire, dass Sie selbst dirigieren, darf das Publikum erwarten?

 Ennio Morricone: Nächstes Jahr werde ich mein 60jähriges Berufsjubiläum feiern, während der ich über 600 Werke komponiert habe. Davon waren nur fünf Prozent Italowestern, mit denen ich allgemein identifiziert werde. Bei meiner neuen Tournee werde ich als Zugeständnis an mein treues Publikum bekannte Stücke wie "The Ecstasy of Gold" aus Sergio Leones "Zwei glorreiche Halunken" oder "Gabriel´s Oboe" aus Roland Joffés "The Mission" spielen. Aber diesmal handelt es sich um ein anderes Konzert-Erlebnis. Dabei sein sollen nämlich auch einige nicht-filmmusikalische Titel meiner "Musica Assoluta", der absoluten Musik, sowie eine Suite mit Tracks, die ich für sieben verschiedene Filme komponiert habe, die alle Oscars gewonnen haben.

 Marc Hairapetian: Sie selbst haben bei fünf Nominierungen 2007 "nur" einen Ehrenoscar von Clint Eastwood überreicht bekommen. Schmerzt Sie das?

 Ennio Morricone: Da rühren Sie einen wunden Punkt an. In den 1960er Jahren waren die vorrangig älteren und konservativen Academy-Mitglieder einfach zu taub für innovative Klänge. Wissen Sie, ich habe viele andere schöne Preise erhalten, darunter neunmal den David di Donatello, neunmal den Nastro d´Argento, fünfmal den BAFTA Award, einen Golden Globe, einen Grammy und einen Europäischen Filmpreis, wobei ich die Auszeichnungen für das Lebenswerk gar nicht mitzähle. Allerdings verstauben diese Trophäen nur in den Regalen, wichtiger ist die Anerkennung des Publikums - und über die kann ich mich bis heute nicht beschweren.

 Marc Hairapetian: Angefangen haben Sie Ihre musikalische Laufbahn als Trompeter. Ist die Trompete eigentlich immer noch Ihr Lieblingsinstrument? Sie haben sie ja häufiger charismatisch in Ihren Scores wie zum Beispiel mit einen Auftaktsolo in der in einem Amphitheater stattfindenden Duell-Szene zwischen Tony Musante und Jack Palance am Schluss von "Die gefürchteten Zwei", auch bekannt als "Il Mercenario", eingesetzt.

 Ennio Morricone: Und Quentin Tarantino hat zu den Klängen meiner "Mercenario"-Musik den Schauplatz von der alten Arena in einen Sarg verlegt, aus dem sich die lebendig begrabene "Beatrix Kiddo" (gespielt von Uma Thurman) in "Kill Bill - Volume 2" versucht, herauszuarbeiten. Das nenne ich Reduktion, aber es hat mir gefallen. Blechinstrumente sind natürlich etwas Außergewöhnliches, aber die Streicher sind die Seele des Orchesters. Die Trompeten und auch die Hörner geben Farbe und Kraft zu einem Stück. Man muss aber aufpassen, nicht zu übertreiben, denn dieses Drama, was durch die Trompete hervorgebracht wird, kann man nicht konstant ertragen. Man muss es gut dosieren, denn sonst läuft man Gefahr, dass man nicht mehr ein Orchester hat, sondern nur noch eine Kapelle.

Das Gespräch mit Ennio Morricone führte Marc Hairapetian für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.de am 15. September 2015 in Rom. Eine gekürzte Fassung des Interviews erschien am 29. November 2015 in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS). Ferner eine verlängerte Fassung mit anderen Aspekten im Musikexpress (Ausgabe Februar 2016). Am 18. Februar 2016 gastiert Morricone mit dem Ceský národní symfonický orchestr (Czech National Symphony Orchestra) in der LANXESS Arena in Köln.

Marc Hairapetian war am 14. Januar 2016 zu Gast in der Cinemashow von Klassik Radio, wo ihn Moderator Florian Schmidt zu seiner neuesten Begegnung mit Maestro Morricone befragte. Auch Focus und Gala wiesen auf Marc Hairapetians neues Interview mit Ennio Morricone hin:

www.focus.de/kultur/kino_tv/ennio-morricone-lob-und-kritik-fuer-quentin-tarantino_id_5120039.html
www.gala.de/stars/news/starfeed/ennio-morricone-lob-und-kritik-fuer-quentin-tarantino_1350358.html

Die Fotos von Ennio Morricone (solo und zusammen mit THE SPIRIT aka Marc Hairapetian) machte Vo Nguyen Kieu Oanh für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.de