Größere Ansicht anzeigenTHE SPIRIT aka Marc Hairapetian & Isabelle Huppert (Grand Hyatt Berlin, 17. Februar 2018, Foto: SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM)

Nicht die typische Femme fatale

Interview mit der französischen Schauspieler-Ikone Isabelle Huppert

Von Marc Hairapetian

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Isabelle (Anne) Huppert ist wohl neben Isabelle Adjani die berühmteste, lebende französische Schauspielerin. Die am 16. März 1953 in Paris als Tochter eines Sicherheitsingenieurs und einer Englischlehrerin geborene Ausnahmekünstlerin, deren Zerbrechlichkeit mit ihrer Willensstärke kon-trastiert, hat mit der Verkörperung tiefgründiger Charaktere in Meisterwerken wie Michael Ciminos an der Kinokasse leider geflopptem Spätwestern "Heaven Gate", Mauro Bologninis historischem Halbwelt-Panorama "Die Kameliendame" (beide 1980), Michael Hanekes Sadomaso-Drama "Die Klavierspielerin" (2001) und vor allem Paul Verhoevens tragikomischem Erotik-Thriller "Elle" (2016), für den sie mit ihrem zweiten César, einem Golden Globe und ihrer bisher einzigen Oscar-Nominierung ausgezeichnet wurde, Filmgeschichte geschrieben. Marc Hairapetian lernte Isabelle Huppert im Jahr 2012 bei einem Empfang im Institut français Berlin kennen. Mittlerweile nennen sie sich gegenseitig beim Vornamen, auch wenn sie sich noch siezen. Anlässlich von Isabelle Hup-perts neuestem Psychokrimi "Eva" (2018), der bei den 68. Internationalen Filmfestspielen Berlin im Wettbewerb lief, unterhielt sich Marc Hairapetian mit ihr ausführlich im Hotel Grand Hyatt Berlin.

Größere Ansicht anzeigenIsabelle Huppert & Gaspard Ulliel in "Eva"

 Marc Hairapetian: Isabelle, in Ihrem neusten Film, Benoît Jacquots Remake des auf dem Série-noire-Roman von James Hadley Chase basierenden Joseph-Losey-Klassikers "Eva", spielen sie die Titelrolle, die vor Ihnen bereits Jeanne Moreau verkörpert hat. Nun müssen Sie nicht in deren Fußstapfen treten, weil Sie längst selbst eine Leinwandikone weit über Frankreich hinaus gewor-den sind. War es dennoch schwierig, einen Part zu übernehmen, der schon einmal von einer ande-ren großen Darstellerin gespielt wurde?

 Isabelle Huppert: Ich würde lügen, wenn ich "nein" sagen würde. Ich habe Jeanne Moreau, die lei-der im letzen Jahr von uns gegangen ist, immer sehr bewundert. François Truffauts "Jules et Jim" mit ihr aus dem Jahr 1962 gehört zu meinen absoluten Lieblingsfilmen. Als ganz junges Mädchen dachte ich immer: Wäre ich es doch gewesen, die in diesem heiter-melancholischen Nouvelle-Vague-Meisterwerk über eine reine Liebe zu dritt Oskar Werner und Henri Serie den Kopf verdreht hätte! Keiner kann und darf sie kopieren. Doch es ist natürlich als langjährige Schauspielerin mein Anspruch, die Rolle dieser geheimnisvollen, manchmal unbeteiligt wirkenden, dann wieder doch sehr leidenschaftlichen Femme fatale auf eine ganz eigene, neue Weise zu interpretieren, zumal Benoît Jacquot, mit dem ich bereits zuvor schon fünf Filme gedreht habe, den Stoff modernisiert und in die heutige Zeit versetzt hat.

 Marc Hairapetian: Was hat Sie denn besonders an dieser sehr speziellen Eva, die entfernt sogar an ihren großen Erfolg in Paul Verhoevens "Elle" erinnert, für die Sie 2017 für den Oscar als Beste Hauptdarstellerin, nominiert wurden, gereizt?

 Isabelle Huppert: Den Vergleich mit Michèle Leblanc in "Elle" finde ich sehr interessant und gar nicht so abwegig. Beide kommen auf den ersten Blick recht gefühlskalt daher, lieben aber Sex. Auch wenn die sogenannte "Edelprostituierte" Eva oberflächlich erscheint und den von Gaspard Ulliel sehr differenziert verkörperten Bertrand, der ihr zwar verfallen ist, aber selbst viel Dreck am Stecken hat, indem er sich als Autor eines von ihm nicht geschriebenen, enorm erfolgreichen Theaterstücks ausgibt, emotional total auf Distanz hält, hat sie ähnlich wie Michèle doch auch eine leidenschaftliche Seite! Und zwar für ihren sich in Haft befindlichen Ehemann, für den sie alles tut, um ihn aus dem Gefängnis herauszubekommen. Natürlich ist sie ein Biest, aber ein ambivalentes, nicht sofort zu durchschauendes. Sie soll den Zuschauer zwar irritieren, aber nicht gänzlich absto-ßen. Ich finde es übrigens in dem Zusammenhang gut, dass Sie mir eine Frage nicht gestellt haben.

Größere Ansicht anzeigenIsabelle Huppert ist "Eva"

 Marc Hairapetian: Welche?

 Isabelle Huppert: Warum spielen Sie immer perverse Frauen?

 Marc Hairapetian: Es wäre töricht und falsch, Sie darauf zu reduzieren.

 Isabelle Huppert: Danke. Manche Filmkritiker, ich sage nicht alle, machen es sich etwas zu ein-fach. Häufig werde ich in Besprechungen als männermordendes Monster dargestellt und es wer-den noch drastischere Bezeichnungen dafür gewählt. Dabei ist es doch spannend hinter das Ge-heimnis einer Figur zu kommen: Warum handelt sie so und nicht etwa anders? Was hat sie dazu getrieben? Ist da vielleicht doch noch mehr?

 Marc Hairapetian: Sie haben Recht, aber was ist das Geheimnis Ihrer Schauspielkunst?

 Isabelle Huppert: Die Frage ist, ob es überhaupt eines bei mir gibt! Ich glaube, bei der Schauspiele-rei geht es sehr ums Denken. Die meiste Zeit denkt man. Das ist die richtige Vorbereitung! Es geht nicht darum, was man tut, sondern wie und warum. Ich habe mich beispielsweise bei "Eva" nicht auf eine andere Art Forschungsarbeit gestürzt oder eine bereits existierende Figur studiert. Ich fand, dass sie ungewöhnlich war, geradezu atypisch, als Charakter. Denn sie ist sehr praktisch. Sie ist auch mysteriös. Doch im Verlauf des Films sieht man, dass sie mit beiden Beinen im Leben steht. Ihr zwiespältiger Charakter hat mich als Schauspielerin einfach inspiriert.

 Marc Hairapetian: Gegen den Begriff Femme Fatale haben Sie aber nichts?

 Isabelle Huppert: Prinzipiell nicht, doch der Ausgangspunkt war, diese Femme Fatale so darzustel-len, dass sie eben nicht eine typische Femme fatale ist. Ich wollte, dass dieses Schicksalhafte, das diese Frau verkörpert, ja, wie soll ich sagen, geradezu harmlos erscheint und ein wenig anonym bleibt. Dass war auch die Intention von Benoît, der den Stoff ja schon seit Jahrzehnten mit sich her-umgetragen hat. Buch und Erstverfilmung haben ihn ja überhaupt erst dazu veranlasst, Regisseur zu werden! Ich bin auch keine Schauspielerin, die partout eigene Interessen durchsetzen will, wenn sie dem Gesamtkonzept widersprechen. Ich betrete die Welt, die ein Regisseur zusammen mit dem Drehbuchautor, hier im beiden Fällen Benoît, kreiert. Ich komme aber schneller wieder raus als er!

 Marc Hairapetian: Hätten Sie sich für den Film ausgezogen, wenn es dramaturgisch erforderlich gewesen wäre?

 Isabelle Huppert: Natürlich. Das habe ich übrigens schon bei vorherigen Filmen von Benoît ge-macht - und zwar in ganz komischen Stellungen, die ich besser verdränge! (lacht) Diesmal hat er mir in meine Seele geschaut, aber nicht in meinem nackten Körper. Das wäre hier nicht nötig ge-wesen, sondern sogar kontraproduktiv. Die Besonderheit von "Eva" ist, dass zwei geheimnisvolle Protagonisten das Geheimnis um sich bewahren wollen, denn hinter diesem geheimnisvollen Schleier steckt immer die Gefahr einer Bedrohung, einer Gefahr, eines Risikos. Da ist nackte Haut nicht so wichtig. Sie kann aber auch als Kontrapunkt gezeigt werden wie Paul Verhoevens "Elle", wo man sehen kann wie rücksichtslos der Vergewaltiger vorgeht, indem er mein Kleid zerreißt und meine hervorquellenden Brüste brutal betatscht. Hier wird das Geheimnis demaskiert, als das, was es ist. Kein Akt der Freude, sondern eben eine Vergewaltigung. Gaspard Ulliel, mein Partner in "El-le", hat es treffend gesagt: "Man filmt auf der einen Seite die Oberfläche, auf der anderen Seite die Tiefe und das könnte auch eine Definition des Kinos sein." Paul Verhoeven und Benoît haben eine Radikalität als Regisseure mit der sie viele Menschen ansprechen und trotzdem auf nichts verzich-ten. Da gibt es etwas Grundlegendes in ihren Filmen, was sich nicht verändert hat, und immer wie-der das Publikum in den Bann zieht. Deshalb ist auch mein Lieblingssatz aus "Elle", der auf den auf geniale Weise widersprüchlichen Roman ""Oh." des Franco-Armeniers Philippe Djian basiert: "Scham ist kein Gefühl, das stark genug wäre, um uns von irgendetwas abzuhalten."

 Marc Hairapetian: Wie kann man mit Mitte 60 noch so sexy sein wie Sie?

 Isabelle Huppert: Oh, danke, mon cher! Finden Sie das wirklich? Ich mache jedenfalls nichts Be-sonderes, gehe offen und sogar regelrecht neugierig durchs Leben. Meine Familie hat mich immer auf Trab gehalten. Ich bin ja 1998 mit Mitte 40 noch zum dritten Mal Mutter geworden. Dass ich jünger aussehe, ist vielleicht meiner zierlichen Statue geschuldet. Also auch hier gibt es kein Ge-heimnis!

Das Interview mit Isabelle Huppert führte Marc Hairapetian am 17. Februar 2018 im Grand Hyatt Hotel Berlin für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.de / www.spirit-fanzine.com