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Liebe für die Welt

Interview mit Hugh Welchman und Dorota Kobiela zu "Loving Vincent" (deutscher Kinostart: 28. Dezember 2017)

Von Marc Hairapetian

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Das auch privat miteinander liierte Regie-Pärchen Hugh Welchman und Dorota Kobieila kann sich derzeit sehr glücklich schätzen: "Loving Vincent", ihr aus 60.000 (!) einzelnen Ölgemälden erstelltes Künstlerporträt im Krimi-Gewand, gewann soeben den Europäischen Filmpreis in der Kategorie "Bester Animationsfilm" und gilt auch als Favorit bei den Golden Globes und Academy Awards im nächsten Jahr. Welchman hat übrigens als Produzent von "Peter und der Wolf" im Jahr 2008 schon einen Oscar für den "Besten animierten Kurzfilm" ergattert.

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 Marc Hairapetian: In Ihrem Film "Loving Vincent" steckt im Wortsinn in jedem einzelnen Bild viel Liebe zum Detail. Ist es wahr, dass die von Ihnen verpflichteten Maler für die visuell überwältigende Anfangssequenz allein 16 Monate brauchten?

 Hugh Welchman: Für den Auftakt, der vom "Sternennacht"-Vorspann in den Kampf zwischen dem Soldaten und unserem Helden Armand, dem Sohn eines Postboten, mündet, der sich ein Jahr nach dem für ihn mysteriösen Tod Vincent van Goghs mit einem Brief des Malers an seinen mittlerweile ebenfalls verstorbenen Bruder Theo auf die Wanderschaft begibt, um einen neuen Adressaten zu suchen, benötigten die speziell dafür ausgesuchten Maler tatsächlich solange. Die Szene sollte so dynamisch wie nur möglich aussehen und das kostete Zeit.

 Marc Hairapetian: Das erklärt, warum Sie insgesamt sieben Jahre von der Planung bis zur Fertigstellung des Films benötigten. Gedreht wurde mit leibhaftigen Schauspielern, die dann in bewegte Ölgemälde verwandelt wurden.

 Hugh Welchman: Schön ausgedrückt. Grundsätzlich: Wir hatten zuerst ein Drehbuch und dann ein Storyboard, starteten wie bei einem normalen Animationsfilm mit dem "design painting", bei dem 125 Maler 130 Gemälde von Vincent van Gogh lebendig werden lassen sollten. Danach drehten wir in nur 20 Tagen die "live action" mit unseren Hauptdarstellern wie Douglas Booth als Armand und Robert Gulaczyk als in Rückblenden auftauchender Vincent van Gogh. Die Schauspieler wurden hierfür von den Kameramännern Tristan Oliver und Lukasz Zal zuerst vor dem sogenannten "Greenscreen" aufgenommen. Die beteiligten Künstler malten nach diesem Vorbild das erste Bild jeder Szene per Hand in Öl. Anschließend wurde ein Foto geschossen, bevor man das Filmmaterial um ein Bild vorspulte. Von diesem Moment an mussten die Maler für jedes weitere Bild nur noch Veränderungen am bereits bestehenden Gemälde vornehmen. Alles was Sie im fertigen Film sehen sind also Fotografien der auf Leinwänden gemalten Ölbilder.

 Marc Hairapetian: Wie fanden Sie eigentlich die Maler? Mussten sie alle Bewunderer von Vincent van Goghs Kunst sein?

 Dorota Kobiela: Wir gaben Anzeigen in Kunstmagazinen auf und schaute uns in Kunstakademien um, machten dort auch Aushänge. Aus 5000 Portfolios aus der ganze Welt, wählten wir 500 Künstler zu einem Vorsprechen aus. Schließlich entschieden wir uns für 125 Ölmaler, die einem intensiven Training unterzogen wurden, damit sie Bild für Bild für unseren Film anfertigen konnten.

 Marc Hairapetian: Das klingt ungeheuer aufwändig. Wie hoch waren die Gesamtkosten?
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 Hugh Welchman: Wir hatten für einen derart ambitionierten Film nur ein sehr geringes Budget von 5,5 Millionen Euro. Viele Filmfinanciers fanden das Projekt aufgrund des technischen Aspekts zu risikoreich, auch wenn sie das Skript mochten. Schließlich konnten wir das Polnische Filminstitut in Warschau und die Stadt Wroclaw (Breslau), die 2016 Kulturhauptstadt Europas war, als Co-Produzenten gewinnen.

 Marc Hairapetian: Vor Ihnen schuf Alexander Petrov 1999 einen bemerkenswerten Ölfarben-Kurzfilm: "The Old Man and the Sea". War er eine Inspirationsquelle für Sie?

 Dorota Kobiela: Sicherlich. Alexander Petrov hat die einzelnen Bilder mit Ölfarben jedoch auf Glas gezeichnet und die Zeichnung für jedes Filmbild per Hand verändert. Für uns war die Ölmalerei auf Glas jedoch keine so gute Wahl, da Vincent van Gogh immer nur auf auf Leinwand malte. Wir wollten ihm auch in dieser Hinsicht treu bleiben.

 Marc Hairapetian: Haben Sie Ihren Film eigentlich dem mittlerweile 101-jährigen, aber immer noch vitalen Kirk Douglas geschickt, der ja 1956 den niederländischen Maler in Vincente Minelli "Vincent van Gogh - Ein Leben in Leidenschaft" kongenial verkörperte, geschickt?

 Hugh Welchman: Wir haben leider keinen direkten Kontakt zu ihm, würden uns aber natürlich sehr glücklich schätzen, von ihm zu hören, wie ihm "Loving Vincent" gefällt, sollte er ihn sehen. Letztes Jahr hatte sein bahnbrechender Film 60-jähriges Jubiläum und nun ist er über 100. Einfach fantastisch!

 Marc Hairapetian: Sie schätzen Kirk Douglas als Vincent van Gogh sehr, wollten ihn aber nicht nur als seelisch labilen Künstler zeigen. Warum wählten sie einen anderen Ansatz?

 Hugh Welchman: Es gab ja bisher mindestens drei große Spielfilme über ihn mit ganz vorzüglichen Schauspielern, die ihn porträtierten. Deswegen nahmen wir einen Satz von ihm aus einem Brief an seinen Bruder wörtlich: "Nun ja, die Wahrheit ist, dass wir nicht anders sprechen können, als mithilfe unserer Werke." Wir wollten kein übliches Biopic machen, wo seine Gemälde in den Hintergrund treten. In den letzten neun Jahren seines schwierigen Lebens, fühlte sich Vincent van Gogh nur lebendig, wenn er malte.

 Marc Hairapetian: Fühlen Sie sich durch Ihren Film jetzt noch enger verbunden?

 Hugh Welchman: Auf jeden Fall. Dorota las seine Briefe bereits als sie 15 war, ich hingegen erst mit 33. Er war immer ein passionierte Künstler trotz seines kommerziellen Misserfolgs zu Lebzeiten. Und ein außergewöhnlicher Mensch, der soviel Liebe für die Welt besaß, auch wenn er Probleme hatte, mit Menschen zu kommunizieren. Sei Liebesleben war desaströs!. Sein Verhältnis zu seiner Familie war als "schwarzes Schaf" ebenfalls schwierig. Er war kein Zyniker und nicht gefeit gegen Intrigen. Es ist auf ewig schade, dass er nicht mehr mitbekommen hat, wie sehr seine Bilder postum die Malerei revolutionierten.

Das Gespräch führte mit Hugh Welchman und Dorota Kobiela führte Marc Hairapetian am 2. November 2017 für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.de / www.spirit-fanzine.com

Loving Vincent - Official Trailer: