"Ich spreche niemals über das, was ich nicht gemacht habe"

Stanley Kubricks "Uhrwerk Orange" machte in weltberühmt: Schauspieler enfant terrible Malcolm McDowell über Schurkenrollen, die Guten, Alkoholismus, Vorbilder und neue Pläne

Ein frecher, eindeutig zweideutiger Blick aus stahlblauen Augen, die Lippen spöttisch gekräuselt und wenn er vergewaltigt und prügelt stimmt er dazu "Singin' in the Rain" an. Malcolm McDowell spielte das Böse attraktiv. Mit seiner Verkörperung des Antihelden "Uhrwerk Orange" in Stanley Kubricks satirischem Gewaltschocker "Uhrwerk Orange" (GB 1970/71) wurde er quasi über Nacht weltberühmt. Seitdem wird er mit jeder neuen Rolle an seiner darstellerischen Tour de Force aus Sex, Raubmord und Beethoven gemessen. Grandiose Bösewichter wie "Gangster No 1" (2000) folgten, aber auch Bestien in Menschengestalt wie der römische Kaiser "Caligula" (1979) oder der Kinderserienmörder "Evilenko" (2004). Dabei wird häufig unterschlagen, dass Malcolm McDowell auch die Guten nicht zu Langweilern verkommen ließ, so z.B. den Schiffssteward Max Günter in Stuart Rosenbergs All-Star-Ensemble-Flüchtlingsdrama "Reise der Verdammten" (1976), der sich an Bord eines deutschen Passagierschiffes nicht von den Nazis vereinnahmen lässt und am Ende gemeinsam mit einem jüdischen Mädchen den Freitod wählt. Der am 13. Juni 1943 in Leeds geborene Akteur, der eine Zeit lang als Kaffeeverkäufer arbeitete, wohnt seit nunmehr drei Jahrzehnten in Los Angeles. Nach wie vor ist er gut im Geschäft und hat nichts von seinem jungenhaften Elan verloren. Er hat zwei erwachsene Kinder und ist mittlerweile aus dritter Ehe mit der Malerin Kelley Kuhr stolzer Vater zweier Kleinkinder, die während des Interviews um ihn herumkrabbeln.

Von Marc Hairapetian

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Marc Hairapetian:
Ihr Geburtsname lautet Malcolm John Taylor. Woher stammt Ihr jetziger Zuname McDowell?

Malcolm McDowell:
Als ich mit der Schauspielerei anfing und die Londoner Academy of Music and Art besuchte, sagte man mir, ich solle meinen Namen unbedingt ändern, weil es damals bereits einen anderen Schauspieler namens Malcolm Taylor gab. Also dachte ich, ich nehme einfach den Namen des Ehemanns meiner Mutter an - und so wurde ich schließlich Malcolm McDowell.

Hairapetian:
Vor kurzem ist erstmals Jan Harlans Porträt über Sie, "O, Lucky Malcolm!" in Deutschland auf einer Special-DVD-Edition von "Uhrwerk Orange" erschienen. Viele Freunde, Kollegen, Ihre Kinder und Sie selbst melden sich in darin zu Wort. Wissen Sie, wie lange Kubricks Schwager und Nachlassverwalter Jan Harlan für die Aufnahmen und Zusammenstellung gebraucht hat?

Malcolm McDowell:
Er hat sich ein Jahr lang darauf vorbereitet und alle möglichen Leute dazu befragt, sogar meine Frau und meine Ex-Frau Mary Steenburgen. Aber die Interviews mit mir haben lediglich sechs Tage gedauert.

Hairapetian:
Gab es dabei einen Deal im Zusammenhang mit der Dokumentation "Stanley Kubrick - A Life in Pictures", weil Sie dort ebenfalls über Ihre Arbeit mit dem Regisseur sprechen?

Malcolm McDowell:
Ja, Jan Harlan rief mich an und fragte mich, ob ich Interesse an einer Mitarbeit für eine kurze Dokumentation hätte. Ich sagte zu und als wir schließlich anfingen, wurde das Ganze immer größer und länger und länger.

Hairapetian:
Ist Jan Harlan vielleicht auch dadurch für Sie zu einem engen Freund geworden, so, wie Stanley Kubricks Witwe Christiane?

Malcolm McDowell:
Ja, ich schätze Jan sehr. Er ist ein sehr guter Regisseur geworden und versteht es hervorragend, eindrucksvolle Dokumentationen zu schaffen. Er leistet der Erinnerung damit einen wunderbaren Dienst. Wissen Sie, es ist schwer, sich filmisch zu behaupten im Schatten eines so großartigen Regisseurs. Ich finde aber, er macht das ganz großartig. Christiane Kubrick kenne ich seit fast vierzig Jahren und empfinde große Bewunderung für sie. Sie ist ein wunderschöner Mensch und eine herausragende Künstlerin in der Malerei.

Hairapetian:
Stimmt es, dass Sie Stanley Kubrick nie wieder persönlich getroffen haben, nach der Fertigstellung von "Uhrwerk Orange"?

Malcolm McDowell:
Nein, das ist nicht wahr. Ich habe ihn des Öfteren getroffen, zum Beispiel im Haus eines Freundes.

Hairapetian:
Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?

Malcolm McDowell:
Ich glaube, etwa zwanzig Jahre bevor er starb.

Hairapetian:
Ich habe gelesen, dass die Rolling Stones damals die Rechte für "Uhrwerk Orange" von Autor Anthony Burgess erworben haben. Wissen Sie, wie Stanley Kubrick schließlich doch die Rechte für eine Verfilmung bekommen konnte?

Malcolm McDowell:
Die Rolling Stones hatten viel früher Interesse gehabt. Aber dann kauften zwei amerikanische Produzenten die Rechte an dem Buch, Si Litvinoff und Max L. Raab. Und Stanley wiederum erwarb die Rechte bei den beiden. Si traf ich letztes Weihnachten zu einer kleinen Feier, und wir sprachen über den Film, weil er beim Dreh gar nicht dabei war. Sie waren lediglich an der Finanzierung beteiligt.

Hairapetian:
"Uhrwerk Orange" ist Ihr erfolgreichster Film. Ihre Interpretation der Rolle des Anti-Helden Alex De Large ist absolut brillant. Könnten Sie sich jedoch vorstellen, dass Mick Jagger und die Rolling Stones Alex und seine "Droogs" genauso gut hätten verkörpern können wie Sie, Warren Clarke als Dim, James Marcus als Georgie und Michael Tarn als Pete?

Malcolm McDowell:
Also, das kann ich nicht sagen. Es hätte wohl ganz anders gewirkt. Aber ich war ja quasi wie für diese Rolle geboren. Ich bin mir sicher, dass es irgendwann einmal ein Remake davon geben wird, aber ich bin stolz darauf, dass ich diese Rolle als erstes gespielt habe.

Hairapetian:
Alex ist ein charmanter "bad guy". Inwiefern identifizieren Sie sich mit ihm und seinen "Vorzügen"?

Malcolm McDowell:
Alex ist ein Vergewaltiger und ein Mörder. Aber etwas, wo ich mit ihm sehr übereinstimme, ist seine Begeisterung für Beethoven und seine Liebe zum Leben.

Hairapetian:
Sie sind auch ein Bewunderer Beethovens?

Malcolm McDowell:
Natürlich. Wer ist das nicht?

Hairapetian:
Können Sie beschreiben, warum es so außergewöhnlich für Sie war, mit Kubrick zusammen zu arbeiten?

Malcolm McDowell:
Ich fühlte mich ja schon privilegiert, dass Stanley mich überhaupt castete. Er sah mich in meinem ersten Film "If..." von Regisseur Lindsay Anderson. Und Stanley war ein großer Verehrer dieses Films. Christiane erzählte mir einmal, dass Stanley den Film stoppte, als ich meinen Auftritt vor dem Spiegel hatte und sich die Szene fünfmal hintereinander ansah, um sich schließlich Christiane zuzuwenden und zu sagen: "Wir haben unseren Alex". Kubrick ist einer der Giganten der Filmindustrie. Er hat sich selbst nie wiederholt. Er hat sich in jedem Genre ausprobiert, sogar im Bereich des Horrorfilms. Er hat alles gemacht. Ich kenne keinen anderen Regisseur, der ein solches Spektrum an Filmen vorweisen kann. Selbst die großartigsten Regisseure nicht.

Hairapetian:
Kubrick war ein notorischer Perfektionist und verlangte deshalb häufig viele Einstellungen. War das bei Ihnen auch der Fall?

Malcolm McDowell:
Nein, denn ich verstand auf Anhieb alles richtig, so dass er nicht zu viele Einstellungen vornehmen musste. Kubrick wollte dem Film eine traumähnliche Qualität verleihen und filmte vor Ort in London viele Sequenzen mit Fischaugenobjektiven. Ferner benutzte er schnelle und langsame Bewegung, nachdem er von bestimmten Szenen in Toshio Matsumotos "Funeral Parade of Roses" beeinflusst worden war.

Hairapetian:
Ist "Uhrwerk Orange" Ihr Lieblingsfilm von Kubrick?

Malcolm McDowell:
Er ist ein geniales Werk. Aber, ich denke, mein Favorit ist "Doktor Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben". Ich liebe diesen Film. Ich liebe aber auch "2001: Odyssee im Weltraum". Und "Lolita". Ach, ich kann das nicht genau beantworten. Ich liebe auch den Film, den ich mit ihm gemacht habe, aber hat so viele unglaubliche Filme gemacht... "Wege zum Ruhm" ist ebenfalls brilliant. Darin spielt ja auch Christiane als deutsche Kriegsgefangene, die vor französischen Soldaten ein Lied singen muss, mit. Das ist eine wirklich unglaubliche Szene, ein magischer Moment. Kein Wunder, dass Stanley sich in sie verliebte.

Hairapetian:
Nach dem Star-Trek-Film "Treffen der Generationen", indem Sie für Captain Kirks (Film-)Tod verantwortlich sind, bekamen Sie 1994 Morddrohungen von verrückten "Trekkis", Star-Trek-Fans, wie Kubrick nach "Uhrwerk Orange". Waren diese Rollen tatsächlich gefährlich für Sie?

Malcolm McDowell:
Nein. Als ich Alex spielte, dachte ich vielmehr an schwarzen Humor. Ich war geschockt über die Reaktion der Medien und die Fokussierung auf die Gewalt, die für mich lediglich einen satirischen Teil darstellt. In dem Film selber geht es um etwas ganz anderes. Es geht um den freien Willen des Menschen. Und das wurde von Kubrick modern verfilmt. Das Futuristische des Films ist verblüffend. Aber mit diesem ganzen Gerede um das Thema Gewalt hatte ich nicht viel zu tun.

Hairapetian:
Sie waren für den "Golden Globe" nominiert.

Malcolm McDowell:
Ich glaube ja. Einer von diesen. (lacht)

Hairapetian:
Waren Sie damals bei der Preisverleihung dabei?

Malcolm McDowell:
Nein, ich bin nicht hingegangen. Ich bin keiner, den man für Filmpreise begeistern kann. Wir wurden gut bezahlt und das ist genug, denke ich.

Hairapetian:
Ich habe oftmals den Eindruck, dass Sie sich eher für ambivalente, provokative Rollen entscheiden. Die Meinungen des Publikums gehen dann weit auseinander. Haben Sie nicht das Gefühl, dass Sie als Schauspieler dadurch in eine Schublade gesteckt werden?

Malcolm McDowell:
Sehen Sie, wenn man so eine großartige Rolle wie Alex gespielt hat, will man Sie immer und immer wieder in dieser Rolle sehen. Aber ich habe das nie wirklich gemacht. Natürlich spiele ich oft harte Rollen. Ich bin nicht besonders froh darüber, aber andererseits hat es mir in all den Jahren auch Spaß gemacht. Ich kann mich also kaum beschweren.

Hairapetian:
Wie oft haben Sie "Uhrwerk Orange" gesehen?

Malcolm McDowell:
Ich habe ihn das letzte Mal vor drei Jahren gesehen - das erste Mal nach 25 Jahren!

Hairapetian:
Oh, 1971 war die Premiere. Waren Sie dabei?

Malcolm McDowell:
Ja, war ich.

Hairapetian:
Und Stanley?

Malcolm McDowell:
Ich glaube, er hielt sich im Hintergrund.

Hairapetian:
In London?

Malcolm McDowell:
Ja, der Film lief dort ein Jahr lang.

Hairapetian:
Und wie war die Atmosphäre zu der Zeit?

Malcolm McDowell:
Die Leute waren nicht da wegen des vermeintlichen Skandals oder der Gewalt, sondern wegen des Films. Er muss einen ungeheuren Eindruck bei ihnen hinterlassen haben.

Hairapetian:
Haben Sie jemals Walter Carlos getroffen, später nach der Geschlechtsumwandlung als Wendy Carlos bekannt, der Henry Purcells "Funeral Marsch for Queen Mary" mittels Synthesizer verfremdete und somit eine faszinierende Titelmusik für "Uhrwerk Orange" kreierte?

Malcolm McDowell:
Ja, er beziehungsweise sie ist ein sehr liebenswürdiger Mensch und ein unglaubliches Talent. Die Musik ist ein so unverzichtbarer Teil für den Film - und sie ist wunderbar.

Hairapetian:
Kommen wir zu einem anderen Film Ihrer Karriere: "Reise der Verdammten". In ihm spielte 1976 das "Who is Who" der Kinogeschichte mit: Oskar Werner, Orson Welles, Faye Dunaway, Max von Sydow und natürlich Sie selbst.

Malcolm McDowell:
Das war eine erstaunliche Besetzung.

Hairapetian:
War das eine besondere Erfahrung für Sie, mit so vielen Stars und Sternchen zusammen zu arbeiten, auch im Vergleich zu anderen, kleineren Produktionen?

Malcolm McDowell:
Ja, es war einfach wunderbar. Es war großartig, so außergewöhnliche Schauspieler zu treffen. Allein schon in dem gleichen Film wie Orson Welles zu spielen, einer Legende, war so außerordentlich. Und natürlich Oskar Werner, den ich sehr bewundere. Lindsay Anderson erzählte mir, dass er einer der besten Hamlet-Darsteller seiner Generation war.

Hairapetian:
Das ist wahr. Die Menschen kamen aus Großbritannien und Amerika, um seinen Hamlet in Frankfurt am Main zu sehen.

Malcolm McDowell:
Ja, davon habe ich gehört. Ich saß während der Dreharbeiten oft bei ihm und sprach mit ihm. Er war ein Gentleman, immer pünktlich und sehr professionell.

Hairapetian:
In "Reise der Verdammten" haben Sie mit dem Steward des Kapitäns zum ersten Mal einen "Guten" gespielt, der sich in ein jüdisches Mädchen verliebt.

Malcolm McDowell:
Ja, und das jüdisches Mädchen, verkörpert von Lynne Frederick, hat dann später in Wirklichkeit Peter Sellers geheiratet. Ich war dabei, als sie sich das erste Mal trafen. Und Peter Sellers sagte zu mir: "Weißt Du, Malcolm, ich könnte einen Raum mit vierzig Frauen darin betreten und eine Frau in diesem Raum wäre gefährlich für mich." Und ich antwortete: "Geh' zu ihr hin und frage sie, ob sie Dich heiratet." Und das ist es wohl, was er dann gemacht hat. Aber sie waren sehr unglücklich miteinander.

Hairapetian:
Ihre gemeinsame Suizidszene in dem Film ist sehr berührend. Die meisten Schauspieler finden böse Charaktere interessanter. Würden Sie sagen, dass es hier vielleicht doch interessanter war, den Guten zu mimen?

Malcolm McDowell:
Ja, ich liebte es, diese süße Rolle des Stewards zu spielen. Und natürlich war Max von Sydow ein Vorbild von mir. Ich war so stolz, mit ihm zusammen zu arbeiten. Er hatte auch solch einen großen Sinn für Humor. Ein lieber Mann.

Hairapetian:
1968 bot Stanley Kubrick Oskar Werner die Hauptrolle in dem von ihm niemals realisierten Film "Napoleon" an. Nach "Uhrwerk Orange" lehnte Oskar Werner eine Rolle in "Barry Lyndon" ab, weil er in "Uhrwerk Orange" Probleme mit der stilisierten Darstellung von Gewalt hatte. Haben Sie mit ihm darüber gesprochen?

Malcolm McDowell:
Nein, nein, nein, niemals. Er war viel zu höflich, als dass er mich darauf angesprochen hätte. Ich denke aber, dass es gefährlich ist, wenn Schauspieler über das urteilen, was sie machen. Sonst würden wir ja gar nichts mehr spielen. Und schließlich hat Oskar Werner Hamlet verkörpert, der wie Alex ein Mörder ist, oder?

Hairapetian:
Und was ist mit Ihrer Verkörperung des "Caligula"? Ich habe darüber mal einen witzigen Satz in einer Zeitung gelesen, der da lautete: "Peter O'Toole machte es für's Geld und Malcolm McDowell, weil er dachte, es sei Kunst." Stimmt das?

Malcolm McDowell:
Ich weiß nicht, warum Peter O'Toole mitgemacht hat, aber ich dachte, es sei etwas sehr Interessantes. Tinto Brass war ein sehr ernsthafter Mann, der einen sehr spannenden Film machen würde. Aber ich irrte mich.

Hairapetian:
Im Film wird unter anderem die Musik Aram Khatchaturians für sein Ballett "Spartacus" eingesetzt.

Malcolm McDowell:
Oh ja, es wirkt wundervoll in dem Film. Nebenbei gibt es übrigens sehr viele gute Dinge in dem Film, die oft vergessen werden. Ein paar tolle Szenen, aber es ist einfach zu pornografisch, die lesbischen Szenen vor allem sind einfach lächerlich.

Hairapetian:
Ihr Vater war Alkoholiker. Und Sie hatten in den 1980er Jahren ebenfalls Probleme damit. Wie ist es dazu gekommen?

Malcolm McDowell:
Wissen Sie, ich hatte einfach zu viel Geld. Und ich langweilte mich, wenn ich einfach nur herumsaß und nichts tat. Und so ging ich Drogen wie Kokain in die Falle. Wie man inzwischen weiß, ist Alkoholismus eine "vererbliche" Krankheit. Man muss also sehr behutsam mit dem Kind eines Alkoholikers umgehen. Damals realisierte ich das und begriff, dass ich Hilfe brauchte. Ich machte einen Entzug.

Hairapetian:
Sie sind aber erst Stück für Stück nach Los Angeles gezogen?

Malcolm McDowell:
Nach San Francisco und L.A. . Ich bin nie wieder von dort weggegangen.

Hairapetian:
Fühlen Sie sich britisch oder eher amerikanisch? Oder sehen Sie sich inzwischen gar als Weltbürger?

Malcolm McDowell:
Ich bin jetzt Amerikaner, weil ich hier lebe. Ich bin kein Brite, obwohl ich mich dort schon heimisch fühle, wenn ich da bin. Aber hier in Amerika fühle ich mich schon eine Hälfte meines Lebens überhaupt nicht britisch, auch nicht europäisch.

Hairapetian:
Was gefällt Ihnen besser an Amerika als an Europa?

Malcolm McDowell:
Ich weiß nicht, ob es besser oder schlechter ist, aber ich war verheiratet und bekam zwei Kinder. Nach der Scheidung wollte ich nicht abwesend sein und blieb für meine Kinder selbstverständlich hier in Amerika.

Hairapetian:
Ihre Kinder sind ja ebenfalls in der Dokumentation "O, Lucky Malcolm" zu sehen. Sie sind sehr stolz auf sie, nicht wahr?

Malcolm McDowell:
Ja, bin ich. Sie sind großartig und ich liebe sie.

Hairapetian:
2004 spielten Sie einen pädophilen Serienkiller aus Russland: "Evilenko" brachte in der alten Sowjetunion 50 Kinder um. Ich habe den Film zwar noch nicht sehen können...

Malcolm McDowell (unterbricht begeistert):
Oh, Sie sollten ihn sich unbedingt ansehen!. Ich bin sehr stolz auf diesen Film, weil er sich mit einem sehr schwierigen Thema befasst.

Hairapetian:
War diese Rolle nicht schwierig für Sie zu spielen? Ich meine, Sie sind Vater von vier Kindern...

Malcolm McDowell:
Es war eine Tortur. Aber ich musste es machen, weil der Regisseur David Grieco mein Freund ist. Also habe ich einen Weg gefunden.

Hairapetian:
Welche Grenze muss überschritten werden, um eine Rolle abzulehnen? Haben Sie jemals etwas abgelehnt?

Malcolm McDowell:
Ja, natürlich. Wenn ich mich unwohl fühle mit dem Drehbuch oder dem Regisseur, dann mache ich es auch nicht. Aber hier handelte es sich um einen guten Freund, dem ich vertraut habe und immer noch vertraue. Diese Thematik haben wir gemeinsam in Angriff genommen, und es hat sich wirklich gelohnt.

Hairapetian:
Können Sie mir trotzdem ein Beispiel geben für ein Filmprojekt, das Sie abgelehnt haben?

Malcolm McDowell:
Nein, ich spreche niemals über das, was ich nicht gemacht habe. Weil es dann ein anderer Schauspieler machen muss - und es sich nicht gehört, über Rollen zu sprechen, die man nie gespielt hat. Ich mache das nicht.

Hairapetian:
Sie sind ein großer Bewunderer von James Cagney. Warum ist er ein Held für Sie?

Malcolm McDowell:
Ich denke, er ist ein Genie. Für mich ist er der beste Schauspieler, den die Filmbranche hervorgebracht hat. Seine Bewegungen, man kann seine Augen einfach nicht von ihm wenden.

Hairapetian:
Hat er Sie als Schauspieler beeinflusst?

Malcolm McDowell:
Ja, da bin ich mir sicher. Ich habe jetzt leider kein Vergleichsbeispiel, außer "Gangster No.1". Meine Schlußszene habe ich ihm als eine Hommage gewidmet

Hairapetian:
"Gangster No. 1" wurde nie in den deutschen Kinos gezeigt. Ich habe einmal den Produzenten getroffen, der auch mit Wim Wenders zusammenarbeitet, und er hat gesagt, dass dieser Film kein Sommer-Popcorn-Film sei, weil er zu ernst und gewalterfüllt sei. Sie waren für die Dreharbeiten sogar in Berlin-Babelsberg, richtig?

Malcolm McDowell:
Ja, so war es. Es war ein Film über Gewalt und Bandenkriege in London - vom Swinging London der 1960er Jahre bis in die Gegenwart. Ich liebe Berlin, eine großartige Stadt. Ich möchte unbedingt noch einmal dahin zurück.

Hairapetian:
Sie haben vor kurzem in Robert Dornhelms TV-Mehrteiler "Krieg und Frieden" als Fürst Bolkonski mitgespielt, der erfolgreich im deutschen Fernsehen lief. Wurde "Krieg und Frieden" auch in Amerika gezeigt?

Malcolm McDowell:
Nein, aber es soll wohl noch ausgestrahlt werden. Ich bin mit Dornhelm sehr gut ausgekommen, so dass eine weitere Zusammenarbeit möglich scheint.

Hairapetian:
Was werden Sie als Nächstes machen?

Malcolm McDowell:
Ich habe gerade eine kleine Serie mit Shirley MacLaine abgedreht über das Leben der Coco Chanel. Das Drehbuch war sehr gut und die Zusammenarbeit mit Shirley war fantastisch. Mein nächster Film heißt "Doomsday" von Neil Marschall, einem talentierten jungen englischen Regisseur.

Hairapetian:
Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, selbst Regie zu führen?

Malcolm McDowell:
Nein, ich möchte das nicht. Ich spüre kein Verlangen danach. Ich liebe das Schauspielern und bin absolut glücklich damit.

Hairapetian:
Ich frage deshalb, weil Sie die Idee für den Film "O, Lucky Man" hatten...

Malcolm McDowell:
Ja, ich habe der Urfassung mitgeschrieben. Aber wissen Sie, ich war da noch ein junger, wilder Mann. Ich möchte das nicht noch einmal tun. Ich habe noch einen Film über meine Beziehungen gedreht. Er heißt "Never apologize" und ist quasi eine "One Man Show". Dabei wurde einen Bühnenshow von mir gefilmt. Ich hoffe, er wird in Deutschland gezeigt.

Hairapetian:
Sie werden jetzt 65 Jahre alt. Aber wenn ich Sie so reden höre, habe ich das Gefühl, Sie sind viel, viel jünger. Woher nehmen Sie diese Energie?

Malcolm McDowell:
Ich weiß es wirklich nicht. Ich meine, wer weiß schon, wo Energie herkommt? Ich schätze, ich habe Glück mit meinen Genen gehabt. ich denke, es muss einem in den Genen liegen, aber man muss auch lieben, was man tut. Und ich liebe es. Ich liebe das Leben und erlebe viele gute Zeiten mit ihm. Ich bin ein Glückspilz. Ich bin der "Lucky Man".

Hairapetian:
Welche sind Ihre Lieblingsfilme?

Malcolm McDowell:
"Der Malteser Falke" mit Humphrey Bogart, zum Beispiel. Ein wunderschöner Film von John Huston. Außerdem "The Good Fellas, "Der Pate I - III".

Hairapetian:
Sie mögen also besonders "Mobster"-Filme?

Malcolm McDowell:
Ja, ich finde sie großartig, auch von der Regie her. Es geht eben wirklich um Amerika. Ich mag einen Film der Coen-Brüder sehr gerne: "Fargo". Erin Gaunerstück, dass fast ausschließlich im Schnee spielt, gab es zuvor so noch nicht. Ich hoffe, bis dahin mit der Verfilmung einer wundervollen Novelle von Thomas Mann angefangen zu haben, sie heißt "Mario und der Zauberer". Es gibt bereits eine Version von... (überlegt)

Hairapetian:
...Klaus Maria Brandauer.

Malcolm McDowell:
Exakt. Ich kenne seine Interpretation zwar nicht, aber ich habe gehört, sie soll schrecklich sein.

Hairapetian:
Es ist nicht gerade sein bester Film, das stimmt.

Malcolm McDowell:
Wir haben ein Drehbuch von Roman Polanski. Er hat ein wunderbares Drehbuch geschrieben, dass wir unter allen Umständen verwirklichen wollen. Im September soll es soweit sein.


Das Gespräch mit Malcolm McDowell führte Marc Hairapetian am 10. Februar 2008 für das von ihm herausgegebene Film-, Theater-, Musik-, Literatur- und Hörspielmagazin Spirit - Ein Lächeln im Sturm

www.spirit-fanzine.de

Mehr Infos unter:

www.malcolmmcdowell.net