Größere Ansicht anzeigen
"The Hateful 2": THE SPIRIT aka Marc Hairapetian & film director Quentin Tarantino (The Ritz-Carlton Berlin, January 26, 2016, photo by Nikias Chryssos for SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM)

"Lieber analog drehen anstatt digital!"

"Ultra Panavision"-Interview mit der lebenden Regie-Legende Quentin Tarantino zu seinem neuesten Film "The Hateful 8" (deutscher Kinostart: 28. Januar 2016)

Von Marc Hairapetian

Drucken

Die Überraschung war groß: Selbst Bundestrainer Jogi Löw liess es sich als "riesengroßer Tarantino-Fan" nicht nehmen, sich im Berliner Hotel The Ritz-Carlton unter die Journalisten der Pressekonferenz zu "The Hateful 8" zu mischen. Beim anschließenden Interview mit dem Regisseur, Drehbuchautor, Produzenten und Gelegenheitsschauspieler in Personalunion war der Coach des amtierenden Fußballweltmeisters Deutschland natürlich nicht mehr mit dabei... Im Gespräch mit Quentin Tarantino erweist sich der zweifache Oscar-Gewinner (für die "Besten Original-Drehbücher" zu "Pulp Fiction" und "Django Unchained") erneut als wandelnde Film-Enzyklopädie. Der 52-jährige Cineast mit italienischen und indianischen Wurzeln gibt sich schlagfertig wie eh und je, aber auch selbstkritisch.

Größere Ansicht anzeigen What a hateful couple! THE SPIRIT aka Marc Hairapetian & living legend Quentin Tarantino (The Ritz-Carlton Berlin, January 26, 2016, photo by Nikias Chryssos for SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM)

 Marc Hairapetian: Zuerst möchte ich Ihnen wirklich von Herzen danken, dass Sie, der "The Hateful 8" in Ultra Panavision 70 gedreht hat, diese Magie wieder in das Kino von heute gebracht haben. Ich zeige auch 70mm-Filmklassiker mit Einführungen in ausgewählten Kinos.

 Quentin Tarantino: Wow! Great! Da würde ich gerne mal vorbeikommen.

 Marc Hairapetian: Selbstverständlich. Sie sind dazu eingeladen! Meine erste Frage hat einen historischen Hintergrund. Was ist neben "The Hateful 8" natürlich, Ihr Lieblingsfilm in Ultra Panavision 70 oder anderen 70mm-Formaten und warum?

 Quentin Tarantino: Meinen Sie damit auch Blowups, bei denen in 35mm-Panavision gedrehte Filme als 70mm-Version liefen?

 Marc Hairapetian: Ja.

 Quentin Tarantino: Als Kind war es die Marathon-Komödie "Eine total, total verrückte Welt" von Stanley Kramer, der ja sonst eher für seine ernsthaften Filme wie "Das Urteil von Nürnberg" oder "Das Narrenschiff" bekannt ist. Ich liebe es auch heutzutage den Film, immer wieder zu sehen - zusammen mit Leuten, die Fans von ihm sind, aber auch mit solchen, die ihn noch gar nicht kennen. Mit meiner Freundin machte ich letztens übrigens das, was mein Stiefvater einst mit mir machte: Ich zählte auf, welche großen Komiker in welcher Szene sind, auch, wenn sie sich dank des superbreiten Ultra-Panavision-Formats am linken oder rechten Bildrand befanden: Das ist Stan Freberg als stellvertretender Sheriff im Hintergrund! Und das da vorne ist Andy Devine als Sheriff von Crocked County! Meine Freundin hielt mich für verrückt und sagte: "Würdest Du mich genauso gut erkennen wie all diese Komiker, wenn ich mich in einem 70mm-Film im hintersten Bildwinkel befinden würde?" Also meine Begeisterung für diesen Film hat - neben seiner technischen Qualität - ganz persönliche Gründe. Ich liebe auch Ken Annakins ebenfalls in Ultra Panavision 70 gedrehten Kriegsfilm "Die letzte Schlacht" mit Henry Fonda und Robert Shaw über die amerikanische Abwehr der deutschen Offensive in den Ardennen. Er wird von Filmhistorikern und Kritikern immer runtergemacht, für mich ist es aber ein perfekter Schlachtbericht. Bei aller Grausamkeit äußerst unterhaltsam und detailversessen gemacht, nutzt Annakin die ganze Weite des in die spanische Sierra de Guadarrama verlegten Drehorts aus. Er hat "The Hateful 8" inspiriert. In Los Angeles läuft "Die letzte Schlacht" zusammen mit "The Hateful 8" als "Grindhouse"-Double-Feature wie zuvor im Jahr 2007 Robert Rodriguez´ "Planet Terror" mit meinem Film "Death Proof".

 Marc Hairapetian: Und warum haben Sie "The Hateful 8" ausgerechnet analog in dem eher seltenen Breitfilm-Format Ultra Panavision 70 gedreht und nicht beispielsweise in Super Panavision?

 Quentin Tarantino: Natürlich könnte ich jetzt sagen: Der Hauptgrund war, dass Ultra Panavision 70 den breitesten Bildrahmen aller auf analogem 65mm-Film gedrehten Kinoproduktionen hat. Es ist tatsächlich auch ein wichtiger Grund. Aber um bei der Wahrheit zu bleiben, muss ich zugeben, dass wir einfach Glück hatten, in den Archiven diese fantastischen, alten Ultra-Panavision-Objektive zu finden. Nachdem Sie den Kältetest bestanden, der notwendig war, weil wir ja in Colorado tatsächlich unter extremen Wetterbedingungen drehen wollten, damit der Schnee-Western so authentisch wie möglich wirken sollte, mussten wir sie einfach weiter verwenden! Ansonsten hätte ich vielleicht auch in Super Panavision gedreht. Schließlich sind in diesem Format auch Lieblingsfilme von mir wie "Lord Jim" oder "2001: Odyssee im Weltraum" entstanden. Lieber analog drehen anstatt digital ist und bleibt meine Devise! Jedenfalls hatte ich bei "The Hateful 8" soviel Spaß wie seit "Kill Bill" nicht mehr.

 Marc Hairapetian: In "The Hateful 8" geht es - wie in fast all ihren anderen Filmen auch - um Rache. Nun wirken Sie selbst nicht wie eine rachsüchtige Person. Was lässt Sie sich immer wieder mit einer, wie es der koreanische "Lady Vengeance-Regisseur Park Chan-wook mir einmal sagte, "vermutlich törichtsten und sinnlosesten Eigenschaften des Menschen" auseinandersetzen?

Größere Ansicht anzeigen Talking about and in Ultra Panavision 70: THE SPIRIT Marc Hairapetian & "The Hateful 8" director Quentin Tarantino (Zoo Palast Berlin, January 26, 2016, photo by Heiko Lehmann for SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM)

 Quentin Tarantino: Park Chan-wook, den ich sehr schätze, will mit seinen Rache-Filmen, den Menschen einen Spiegel vorhalten, um ihre Dummheit zu entlarven. Rache im wirklich Leben ist in der Tat unklug, ich würde sogar sagen albern, aber es ist auch eine Kraft, die einen voran treiben kann, so wie ich es in einigen Szenen von Uma Thurman als Beatrix Kiddo in "Kill Bill" zeige. Das Ende des zweiten Teils endet auch nicht als Blutbad, wenn sich Uma an den mit würdevoller Gefährlichkeit agierenden, leider schon verstorbenen David Carradine rächt. Obwohl er, der ihr soviel Schlimmes antat, sterben muss, hat sie noch immer Liebe im Herzen für ihn. Und er zeigt für ihre ihm unerbittliche Haltung gegenüber als "seinem Lieblingsmenschen" sogar Verständnis. Rache als pure moralische Rechtfertigung gefällt mir nicht. Ich habe versucht, sie in "The Hateful 8" diesmal besonders "ungeschönt" zu zeigen, als, das, was sie in Wirklichkeit auch ist: eine grausame und beschissene Sache.

 Marc Hairapetian: Sie sind also kein "Hateful Guy", aber was lässt Sie solche abgefahrenen und radikalen Drehbücher schreiben, in der sich die Gewalt nach der Filmpause in der in ausgewählten Kinos gezeigten analogen 70mm-Roadshow-Fassung ungezügelt ihre Bann bricht?

 Quentin Tarantino: Ich denke, wirklich, dass ich kein "Hateful Guy" bin. Zuerst kommt ja beim Prozess des Filmemachens bei mir das Schreiben des Drehbuchs. Als ich, "The Hateful 8" schrieb, befand ich mich in einer Phase des Hasses und der Wut. Ich fühlte mich auch etwas depressiv. Über die genauen Gründe möchte ich mich an dieser Stelle nicht auslassen, weil sie sehr privat sind. Die Arbeit am Skript war in der Tat aber eine Aufarbeitung meiner damaligen Gefühle, die ich auf die acht Haupt-Charaktere verteilte, die alle irgendwo Dreck am Stecken haben oder auch lügen, dass sich die Balken biegen, ob sie nun Schwarz oder Weiß, konföderierte Rassisten oder Kopfgeldjäger aus den Nordstaaten sind.

 Marc Hairapetian: Erlauben Sie mir dennoch die Nachfrage: Hatte Ihre Wut auch damit zu tun, dass Sie das Drehbuch nochmals ändern mussten, weil es vorab ohne Ihre Genehmigung online veröffentlicht wurde?

 Quentin Tarantino: Nein, ich meinte das Schreiben der Erstfassung. Aber dass das Drehbuch einfach vorab online veröffentlicht wurde, ohne mich zu fragen, hat mich natürlich auch masslos verärgert. Ich musste dann den Schluss komplett umschreiben. Vielleicht ist deshalb auch das Ende so hart geworden. Das Filmbusiness, gerade in Hollywood, wird zunehmend korrupter. Im Erfolg wollen viele deine Freunde sein. Enttäuschend ist, wenn Vertrauen missbraucht wird. Ich bin etwas vorsichtiger geworden, aber immer noch relativ offen - wie Sie selbst sehen. (lacht)

 Marc Hairapetian: Können Sie sich vorstellen, auch einen Film über die Ureinwohner der Vereinigten Staaten, die Indianer, zu machen? Anscheinend beabsichtigen Sie noch, einen dritten Western zu drehen? Wäre, nachdem Sie die Diskriminierung der Afro-Amerikaner bereits mehrfach aufgearbeitet haben, jetzt nicht die richtige Zeit dafür?

 Quentin Tarantino: Ich denke, es gibt schon fantastische Filme über diese Thematik wie Ralph Nelsons "Das Wiegenlied vom Totschlag" aus dem Jahr 1970, der nicht nur das an den Indianer verübte Sand-Creek-Massaker thematisierte, sondern auf dem "Höhepunkt" des Vietnam-Kriegs indirekt auch Bezug nahm zum Massaker von My Lai, wo Männer, Frauen, Kinder und sogar die Hunde und Katzen von US-Soldaten niedergemetzelt wurden. Aber interessant, dass Sie fragen, da ja auch Cherokee-Blut in meinen Adern fließt.

 Marc Hairapetian: Genau deswegen wollte ich es wissen.

 Quentin Tarantino: Ich weiß es wirklich noch nicht, aber ich denke darüber nach. Irgendwie sehe ich mich nicht, als Regisseur, der in einem Indianerdorf dreht und politisch korrekt für die Rechte des "roten Mannes" eintritt. Das wäre zu naheliegend und zu plump. Wenn, dann müsste ich einen ganz anderen Ansatz finden.

 Marc Hairapetian: Alle schauspielerischen Leistungen - vor allem von Jennifer Jason Leigh als mordlustiges und rassistisches Luder Daisy Domergue - sind in "The Hateful 8" grandios. Allerdings scheint Tim Roth in der Rolle des vermeintlichen "Henkers von Red Rock", eine Parodie auf Christoph Waltz abzuliefern. War das so gewollt? Oder sollte gar Waltz die Rolle zuerst spielen?

 Quentin Tarantino: Nein, nein. Das war mein Fehler. Ich hätte Tim Roth nicht auch wie Christoph Waltz zuvor in "Django Unchained" ganz in Grau bekleiden lassen sollen. Das lässt in der Tat eine gewisse Ähnlichkeit aufkommen. Christoph hätte einen österreichischen oder bayerischen Dandy spielen können, aber nicht einen englischen wie den von Tim verkörperten Oswaldo Mowbray.

 Marc Hairapetian: Wie Sie war ich kürzlich bei Filmmusik-Genie Ennio Morricone in Rom zu Besuch. Mit seinem hypnotischen Soundtrack zu "The Hateful 8" hat er sich selbst übertroffen. Wieso gibt es zum ersten Mal in einem Ihrer Filme einen kompletten Original Motion Picture Score und nicht nur eine "Track by track"-Auswahl aus Popstücken und orchestralen Filmmusiken?

 Quentin Tarantino: Ich dachte einfach, es wäre diesmal passend. Ich wollte ja für die analoge 70mm-Roadshow auch eine Ouvertüre - und die konnte mir nur Maestro Morricone, den ich seit meiner Kindheit verehre, komponieren.

 Marc Hairapetian: Derzeit wird heftig diskutiert, ob die Academy bei der Oscar-Verleihung bewusst schwarze Künstler bei den Nominierungen ignoriert und man die Veranstaltung deswegen boykottieren sollte. Wie stehen Sie dazu?

 Quentin Tarantino: Ich will jetzt hier kein Fass aufmachen, denn auch nicht-schwarze Künstler werden bei den Nominierungen häufig übergangen. Allerdings ist die ganze Geschichte der Vereinigten Staaten voll von Rassismus. Also, wenn ich als Produzent für den Besten Film nominiert worden wäre oder als Regisseur beziehungsweise Drehbuchautor, würde ich auch zur Verleihung hingehen. Das ist ja diesmal nicht der Fall. Ich überlege mir noch, ob ich meine drei für den Oscar nominierten Künstler - Robert Richardson für die Beste Kamera, Ennio Morricone für die Beste Musik und Jennifer Jason Leigh für die Beste Nebendarstellerin - bei der Verleihung unterstützen soll.

 Marc Hairapetian: Sie haben letztens verkündet, nur noch zwei Filme drehen zu wollen. Bleibt es dabei?

 Quentin Tarantino: Sicher. Dann hätte ich zehn Filme gedreht und das ist eine gute Zahl. Besser ich trete als Regisseur auf dem Höhepunkt meiner Schaffenskraft ab, als dass ich als alter Sack nur noch Mittelmaß herunterkurbele. Ab 60 möchte ich lieber Romane schreiben - die können dann ja andere verfilmen, wenn sie mir ein gutes Konzept dafür unterbreiten.

Das Interview mit Quentin Tarantino führte Marc Hairapetian am 26. Januar 2016 im The Ritz Carlton Berlin für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.de.

thehatefuleight.com

www.thehateful8.de/?gclid=CMrfzdPSzcoCFUs6GwodYOQFxQ