Größere Ansicht anzeigen
Volker Schlöndorff

„Bei der Filmförderung bin ich abgeblitzt“

Warum Volker Schlöndorffs neuester Film „Das Meer am Morgen“ zuerst im Fernsehen ausgestrahlt wird – ein Interview mit dem Spezialisten für Literaturadaptionen.

by Marc Hairapetian

Drucken

Es ist vielleicht Volker Schlöndorffs bester Film geworden: In „Das Meer am Morgen“, der auf der Berlinale begeistert aufgenommen wurde, aber auch Erschütterung auslöste, wird im Oktober 1941in Nantes ein Nazi-Offizier der deutschen Besatzer von Mitgliedern der Résistance erschossen. Daraufhin ordnet Hitler an, den 17jährigen Guy Môquet und 149 weitere französische Gefangene zu erschießen. Schlöndorff, der Spezialist für Literaturverfilmungen, zeigt wie der seinerzeit tatsächlich in Paris stationierte Schriftsteller Ernst Jünger das Protokoll der Vergeltungsaktion abfasst, während der junge Heinrich Böll ungewollt Schießübungen am Atlantikwall durchführen muss... Mitten im Interview in der Berliner Akademie der Künste am Pariser Platz taucht plötzlich Hauptdarsteller Ulrich Matthes auf und schlägt zur Begrüßung über meinem Kopf hinweg seinem Regisseur in freundschaftlich-respektloser Manier das Presseheft zum Film auf das lichte Haupt. Doch Schlöndorff wäre nicht Schlöndorff, wenn er nicht im nächsten Augenblick weiter über seine Lieblingsthemen – Filme und Bücher – sprechen würde.

Das Meer am Morgen Marc Hairapetian: Direkt nach der Berlinale-Vorführung habe ich Sie zu der Schusssequenz mit den Massenexekutionen befragt und Sie haben auch sehr detailliert geantwortet, wie Sie das gedreht haben. Doch Sie haben ein wenig indirekt geantwortet, was Sie dabei gefühlt haben. Hat Sie das nicht mitgenommen, so etwas zu drehen?

Volker Schlöndorff: Man arbeitet mit dem Blick auf den Drehplan, die Kalkulation und den Sonnenstand. Da ist nicht soviel Zeit für Emotionen. Das schließt aber nicht aus, dass es Momente gibt, wo es einen reißt. Da wird geprobt, mit den Anweisungen: „Dann fallt ihr um, dann bindet ihr die los, und dann geht ihr hin, packt die an den Füßen und zieht sie weg!“ Als das dann passierte und die von den Komparsen gespielten toten Geiseln losgebunden wurden und umkippten, und von den Soldaten an den Füßen gefasst und durch den Sand geschleift wurden, war ich fix und fertig. Da schießen einem die Tränen in die Augen. Das geht gar nicht anders. Dann wird das Team aufgemuntert – und beim zweiten Dreh ist es nicht mehr so schlimm. Da bin ich wie Lieschen Müller am Set. Manchmal lache ich so laut, dass der Take nicht zu gebrauchen ist – oder ich fange an, zu heulen. Ich bin immer mein bestes Publikum.

Marc Hairapetian: Man fühlt sich bei „Das Meer am Morgen“ auch ein wenig an Stanley Kubricks berühmtes Antikriegs-Drama „Wege zum Ruhm“ erinnert. Dort werden allerdings „nur“ drei französische Soldaten „wegen Feigheit vor dem Feind“ exemplarisch ausgewählt und füsiliert. War das auch in Ihrem Hinterkopf?

Volker Schlöndorff: Ich habe den Film früher oft gesehen und mir jetzt im Vorfeld nicht mehr angeschaut. Es gab auch noch, „Ein kurzer Film über das Töten“ von Krzysztof Kieslowski, aber „Das Massaker von Katyn“ von Andrzey Wayda hatte ich gerade vorher gesehen. Und da war mir klar: So toll, der Film auch gemacht ist, das will ich nicht. Ich will nicht die Einschusslöcher und die Blutspritzer. Ich wollte hier, dass das preußisch, klinisch und sauber wie ein Verwaltungsakt bis zum letzten Moment durchgezogen wird. Und das musste ich dann schon selbst erfinden.

Marc Hairapetian: Die Widerstandsfigur Guy Môquet ist in Frankreich sehr bekannt. In Deutschland wiederum kennt ihn fast niemand. Wie sind Sie auf seine Geschichte gestoßen?

Volker Schlöndorff: Ich kannte bei aller Frankophilie Guy Môquet auch nur als Namen einer Pariser Metrostation. Die Entdeckung kam durch das Buch von einem Journalisten, das den Titel trägt: „Guy Môquet. Une enfance fusilée“ („Guy Môquet. Eine füsilierte Kindheit“). Das hat er mir in die Hand gedrückt, als ich vor zwei Jahren eine Autobiographie in Frankreich herausgebracht habe. Ich las das Buch zu Weihnachten und mir fiel auf, dass er mit 17 Jahren in Châteaubriant in der Bretagne nur 30 Kilometer von dem Ort hingerichtet wurde, wo ich später ins Internat ging. Da dachte ich mir: Ich möchte das unbedingt verfilmen. Keiner hat mir gesagt, dass es schon einen Film in Frankreich gegeben hat und dass Nicolas Sarkozy Guy Môquet Abschiedsbrief zur Pflichtlektüre gemacht hat!

Marc Hairapetian: Wie wichtig ist Ihnen der erst kürzlich erschienene Ernst-Jünger-Bericht „Zur Geiselfrage“?

Volker Schlöndorff: Den Entschluss, den Film zu machen, hatte ich schon gefasst, bevor ich von diesem Bericht etwas wusste. Der Historiker Felix Moeller hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass er zuvor in einer militärhistorischen Zeitschrift erschienen ist. Ich konnte gar nicht fassen, wie genau er die Ereignisse beschrieben hat und dass er auch die Briefe der Hingerichteten übersetzt hat. Danach habe ich mich sofort umorientiert und mir gesagt, dass nur Ulrich Matthes Ernst Jünger spielen kann. Der Film wird jetzt erst wirklich interessant, weil man auf einmal auch eine deutsche Perspektive auf das Geschehen hat. - und die nicht von irgendjemand, sondern von Urich Matthes. Ein schöner Versprecher! Ich meinte natürlich von Ernst Jünger!

Marc Hairapetian: Hat sich durch die Lektüre durch den Bericht „Zur Geiselfrage“ auch Ihr Bild von Ernst Jünger verändert?

Volker Schlöndorff: Die hat sich sehr verändert, denn dieser Bericht ist geschrieben im reinsten Kanzleideutsch. Ernst Jünger hat sich gesagt: „Ich bin zwar Schriftsteller, aber jetzt schreibe ich einen Bericht über Geiselerschießungen. Da benutze ich nicht meine literarische Sprache, sondern fasse das vollkommen neutral ab.“ Er lebte in der schizophrenen Vorstellung, er könnte sich selbst aufteilen in einerseits den funktionierenden Besatzungsoffizier und anderseits in den kultivierten Schöngeist. Im Gegensatz zum sachlichen Bericht hat er in seinem Tagebuch wunderbar blumige Beschreibungen von einem opiumartigen Rendezvous in der Bar des Hotel Raphael mit einer schönen Dame festgehalten. Im Film habe ich der Sängerin ein paar Sätze in den Mund gelegt. Wenn Jünger meint, er wolle nicht ins Rad der Geschichte eingreifen, entgegnet sie: „Das tun sie doch, indem sie als Offizier der Besatzungsarmee in Paris sind und nicht als Spaziergänger im Flanellanzug!“ Die übertriebene Bewunderung Ernst Jüngers bis heute in Frankreich ist doch ziemlich schwer zu verstehen.

Marc Hairapetian: Sie sagten einmal: Sie wollten den Ernst Jünger in sich selbst bekämpfen. Können Sie das erläutern?

Volker Schlöndorff: Das sind so Sätze, die einem rausrutschen. In den Augen der Franzosen habe ich früher etwas von Ernst Jünger gehabt. Ich war ein sehr disziplinierter Student. Ich war auch ein sehr disziplinierter Regieassistent, der den Filmemachern den Rücken freigehalten hat. Diesen mehrsprachigen, kultivierten und auch charmanten, doch etwas glatten Typ mögen die Franzosen sehr. Doch irgendwann habe ich mir selbst gesagt: Jetzt Schluss damit! Das bist du nicht wirklich!

Marc Hairapetian: Am 23. März läuft der Film um 20.15 Uhr bei arte, wird im Herbst auch in der ARD ausgestrahlt. Kommt er überhaupt ins Kino?

Volker Schlöndorff: Die Frage stelle ich mir auch. Bei der Filmförderung bin ich zumindest abgeblitzt. Im Vorfeld hatten alle abgewimmelt: „Ach, Zweiter Weltkrieg? Schon wieder!“ Als ich jetzt bei der Berlinale gesehen habe, wie stark der Film vor einem großen Publikum in einem Saal aufgenommen werden kann, habe ich mir gedacht, dass er vielleicht doch ins Kino passt. Doch man soll nie aufgeben: Gerade wurden die Kinorechte nicht nur für Frankreich und Deutschland verkauft, sondern auch für Japan, wo er 2013 starten wird. Doch ich bin sehr froh, dass durch das Fernsehen die Produktion überhaupt zustande kam.

Marc Hairapetian: Sind nach Reality-TV-Formaten und Quotenwahnsinn im Fernsehen jetzt wieder unbequemere Themen mehr im Kommen?

Volker Schlöndorff: Das hängt von den jeweiligen Sendern ab. Aber bei den öffentlich-rechtlichen Programmen scheint man nicht mehr so sehr auf Quote komm raus zu schielen, wie noch im letzten Jahr. Wissen Sie, ich wollte mit „Das Meer am Morgen“ nicht wieder Kinozuschauerzahlen wie bei „Der neunte Tag“, die zwischen 20.000 und 30.000 lagen, schreiben. Danach verschwindet der Film für zwei Jahre in den Archiven, bis eine DVD herauskommt oder er im Nachtprogramm noch schlechtere Einschaltquoten erzielt. Deswegen habe ich mich gleich fürs Fernsehen entschieden, nachdem mir arte und ARD Ausstrahlungen um jeweils 20.15 Uhr zugesichert hatten.

Marc Hairapetian: Woran liegt Ihrer Ansicht nach dieses Umdenken bei den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten?

Volker Schlöndorff: Ich kann nur vermuten, dass man erkannt hat, dass es nichts bringt, wenn man die Privaten mehr schlecht als recht kopiert.

Marc Hairapetian: „Das Meer von morgen“ basiert auch auf einer Kurzgeschichte von Heinrich Böll.

Volker Schlöndorff: Heinrich Böll, mit dem ich ja öfters zusammen gearbeitet habe, erzählte mir, wie schwer es ihm gefallen wäre, in Frankreich Besatzungssoldat gewesen zu sein. Ernst Jünger hingegen hatte es genossen, den Besatzungsoffizier in Paris zu geben. Lange nach Bölls Tod entdeckte ich seine Novelle „Das Vermächtnis“, die im Sommer des Jahres 1943 in der Normandie spielt. Durch Böll, der das Schießen mit scharfer Munition abgelehnt hat, wollte ich einem deutschen Soldaten ein menschlicheres Gesicht geben. Ich habe weiter entwickelt, dass er zu den Erschießungskommandos bestimmt wird. Mich hat interessiert, wie sich jemand fühlt, der dazu auserkoren wird, einen anderen tot zu schießen. Selbst in Wehrmachtsberichten findet man kaum etwas dazu.

Marc Hairapetian: Sie gelten seit „Der junge Törless“ (1965) als Spezialist für Literaturverfilmungen. Braucht ein Volker-Schlöndorff-Film immer eine literarische Vorlage?

Volker Schlöndorff: Seit „Der Unhold“, also seit 1998, habe ich keine reine Literaturverfilmung mehr gemacht, doch Sie haben recht, dass ich mich immer wieder auf Texte beziehe. So wie hier, wo ich mir das zusammensetze; das ist mir in Fleisch und Blut übergegangen. Ich vertraue Literatur eben mehr als Auskunft (lacht) Allerdings muss ich jetzt nicht mehr einen weiteren großen Roman verfilmen. Ich arbeite im Augenblick auch an zwei Originaldrehbüchern, von denen auch eines durch eine Novelle inspiriert ist.

Marc Hairapetian: „Die Blechtrommel“, „Der Unhold“ und nun „Das Meer am Morgen“... Warum lässt Sie das Dritte Reich mit seinen Verbrechen nicht los?

Volker Schlöndorff: Ich wurde im März 1939 geboren. Das ist die eine Hälfte der Antwort. Das steckt einen in den Knochen. Man kommt da nicht ganz von los. Außerdem interessieren mich Extremsituationen. Und die Frage: Wie würdest du dich in ihnen verhalten? Natürlich könnten meine Filme auch im Mittelalter spielen, doch der Zweite Weltkrieg ist mir einfach näher. Ich habe keine schlüssige Antwort auf Ihre Frage, auch nicht im Familienkreis meiner Tochter gegenüber. Zumindest tauchen in meinen Filmen keine Hakenkreuzfahnen auf. Und ich verabscheue übrigens Hitler-Klamotten wie „Rubbeldiekatz“ oder „Hotel Lux“. Die gehören verboten! Nach Charlie Chaplins „Der große Diktator“ und Mel Brooks „Frühling für Hitler“ sind zehn Stufen kleiner nicht gerade auf der Höhe der deutschen Geschichte und des deutschen Films. Ich konnte im Gegensatz zu meiner Tochter auch mit „Inglorious Basterds“ nichts anfangen. Der Film war einfach nur peinlich und zudem unwitzig.


Das Gespräch führte Marc Hairapetian für SPIRIT – EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de am15. Februar 2012 in der Berliner Akademie der Künste am Pariser Platz.