Alte Seele, junges Herz

Ein Außenseiter auf der Sonnenseite des Lebens: Zum Tode von Elia Kazan eines der letzten Interviews mit der Regie-Legende


Von Marc Hairapetian

„Kazan war klein, ein Energiebündel, mit vielen Marotten, einem dominanten Ego, unkonventionell und brillant, ruhelos und großzügig.“. Diese Beschreibung des Kritikers Rüdiger Suchsland sollte sich gleich zu Anfang meiner ersten Begegnung mit Elia Kazan bestätigen. Den äußerst raren Interviewtermin anno 1996 bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin verdankte ich nicht der Einhaltung des offiziellen Weges mit einem Gesuch bei der Berlinale-Pressestelle, sondern einem Vorabtelefonat mit seiner Ehefrau im Interconti-Hotel. Mit den Worten „Elia, hier ist ein junger Journalist armenischer Abstammung für Dich“ rief sie ihren Gatten an den Hörer. Der „amerikanische Anatolier griechisch-armenischer Herkunft“ (Kazan über Kazan) begrüßte mich in meiner Vatersprache und vereinbarte einen Termin mit mir am nächsten Tag in der Lobby des Hotels. Kaum hatte er es sich auf dem Sofa bequem gemacht, in dessen Polstern er fast versank, eilte eine ebenfalls mit einem Tonband bewaffnete, nicht mehr ganz so junge Dame herbei und setzte sich ungefragt zu ihm. Dies war ein Umstand, der Kazan bereits ein wenig verärgerte, denn er begann die Stirn zu runzeln. Nachdem sie sich als „Autorin des Figaro“ vorgestellt hatte, bekundete sie atemlos, „einige Fragen“ an ihn stellen „zu müssen“, um sofort mit der ersten herauszuschießen: „You have written an autobiography. What is it all about?“ Kazan blickte sie einen Moment ungläubig an, um sie dann explosionsartig anzuherrschen, wobei der Körper des damals immerhin schon 86jährigen Mannes aus dem Sitz hervorschnellte wie ein Klappmesser: “What a fucking question! Go out! I’m talking with him.“, wobei er auf mich deutete. Meine französische Kollegin wurde kreidebleich und entfernte sich wortlos im Rückwertsgang. Nach diesem kurzem, aber heftigen Donnergewitter konnten wir das Interview in aller Harmonie fortsetzen. Es war der Beginn einer Reihe von Telefonaten, E-Mail-Korrespondenzen und Begegnungen, die zumeist in Kazans Manhattener Büro stattfanden. Am 14. Januar diesen Jahres kam es zum letzten Gespräch. Trotz seines mittlerweile nahezu biblischen Alters, dem sein früher so exzellentes Gehör großen Tribut zollen musste, war Kazans Stimme fest wie eh und je.


Herr Kazan, Sie sind ein begeisterter Nutzer des Internets. Was ist für Sie so faszinierend am „world wide wibe“?

Elia Kazan: In erster Linie die Geschwindigkeit – ganz im Gegensatz zum Kino, bei dem ich immer Filme bevorzuge, deren Spannung sich im Nehmen von Zeit begründet. Es macht mir vor allem großen Spaß mit jungen Leuten zu kommunizieren, die sich für meine alten Filme interessieren. Viele von Ihnen waren noch nicht mal geboren, als ich mit „The Last Tycoon“ 1975 meine letzte Kinoarbeit abdrehte. Die Neugier dieser Filmfreaks finde ich äußerst erstaunlich. Wenn ich denen allen Briefe zurückschreiben müsste, würden sie sich bestimmt herzlich bedanken, denn meine krakelige Handschrift kann ich selbst kaum noch entziffern... Briefe würde ich zudem verlegen – und außerdem sind sie viel zu lange unterwegs. Erhalte ich ein Mail, beantworte ich es meist sofort.

Warum geben Sie dennoch nur so selten Interviews?.

Kazan: Ein Gespräch ist inzwischen natürlich anstrengender für mich als ein Mail. Ich schreibe den Leuten übrigens auch keine Romane zurück, beantworte auch keine „Interviewkataloge“. Das würde zu weit führen. Grundsätzlich ist es so, dass ich nichts gegen Interviews und durchaus kritische Fragen habe, wenn mein Gegenüber vorbereitet ist und sich mir nicht gerade auf den Schoß setzt wie diese französische Journalistin bei der Berlinale 1996 (lacht). Was ich wirklich immer gehasst habe, sind Pressekonferenzen. Die sind meist sterbenslangweilig. Niemand traut sich, aus sich herauszugehen und eine halbwegs gescheite Frage zu stellen. Das muss ich mir nicht mehr antun.

Als Sie zum Film kamen, hatte sich erst kurz zuvor der Tonfilm etabliert. Vom Farbfilm über Cinemascope bs zu Dolby und zur Videokamera haben Sie die Weiterentwicklung der Filmtechnik in Ihren eigenen Filmen miterlebt. Dennoch waren Sie nie ein cineastischer Innovator. Sie haben auch niemals einen Science-fiction gedreht. Irritiert Sie zuviel Fortschritt?

Kazan: Ich bin ein Mann mit einer alten Seele, aber mit einem jungen Herzen. Als ich beim Film anfing, waren Kameraschwenks aufgrund der monströsen, schwerfälligen Apparaturen noch ein schwieriges Unterfangen. Kleine, beweglichere Kameras habe ich natürlich begrüßt. Technischer Fortschritt im Filmbereich hat mich immer dann gereizt, wenn er der Schauspieler nicht wirkungslos wirken lässt. Sollte man die ersetzen können, ist das Kino tot, es sei denn man macht Trick- oder Experimentalfilme. Bei „The Visitors“ habe ich aus Budgetgründen auch mit Videomaterial gearbeitet. So sehr sich die Technik verändert, so ähnlich sind doch viele Filmstoffe. Es geht meist um Liebe und Tod. Stilwillen ist nicht immer gleich zu setzen mit technischen Aufwand. Ein Gesicht ist immer fesselnder als ein Computer. Ich sehe übrigens sehr gerne Science-fiction, die sich ernsthaft mit der Zukunft beschäftigen, aber nicht diese Ballerstreifen. In den 40er- und 50er-Jahren gehörte dieses Genre noch zum B-Film. Obwohl manche Charme besitzen, wirken sie doch irgendwie auch lächerlich. Später waren die gestalterischen Mittel besser, doch mir bot niemand einen SF-Stoff an und um eigene Zukunftsgeschichten zu entwickeln, dafür fehlt mir wirklich ein wenig die Fantasie. Die Gegenwart gibt mir genug Anlass zum Nachdenken.

Was halten Sie von der Computeranimation im Kino?

Kazan: Ich bin bisher nicht sehr begeistert davon. Bei einem Film wie „Gladiator“ konnte ich nur die Hände über den Kopf schlagen, als die Kamera über das computeranimierte alte Rom schwebte. Das wirkt nicht authentisch. Da lassen sich meine alten Augen nicht täuschen. Lieber schaue ich mir einen Film wie den „Untergang des römischen Reichs“ an, der mit den bis heute größten Bauten der Filmgeschichte aufwarten kann. Für „Jurassic Park“ mag Computeranimation noch ganz hilfreich sein, aber nicht unbedingt für Science-fiction. Als mit „2001 – Odyssee im Weltraum“ der wohl beste Film des Genres überhaupt gedreht wurde, mussten beispielsweise noch alle Computerbilder auf den Monitoren der Raumfahrzeuge per Hand gezeichnet werden. Das waren also keine Special effects sondern einfach Effekte, die mit Farbe gemalt oder aus Holz gebaut waren und überzeugend fotografiert wurden. Für meine gesellschaftlichen, sozialen oder historischen Dramen hätte ich ohnehin keine Computeranimation benötigt.

Zu ihrer filmischen Arbeit: Obwohl Sie von den 40er- bis zu den 60er-Jahren als Theaterregisseur am Broadway und als Filmemacher in Hollywood immens erfolgreich waren, haben sie sich immer als Außenseiter verstanden. Fühlten Sie sich als griechischer Immigrant in den USA falsch verstanden?

Kazan: Es stimmt, ich habe mich immer als Außenseiter gefühlt. Dies rührt allerdings weniger von meiner anatolisch-griechischen Herkunft her, der durch meine Großmutter sogar ein kleiner Schuss armenischen Blutes beigemischt wurde, als von der Tatsache, dass ich bei Intendanten und Studiobossen immer besonders hart für die Durchsetzung meiner künstlerischen Ziele kämpfen musste. Ich fühle immer anders als die Menge. Man mag es neurotisch nennen, aber ich meide immer den Weg, den jeder geht - und das wurde und wird bisweilen missverstanden Das Method Acting war für die meisten Filmproduzenten seinerzeit ein Gräuel. Es hat sehr lange gedauert, bis sie verstanden haben, dass sich ein Schauspieler nicht äußerlich einer Rolle nähern muss, sondern von innen. Wir hatten damals eine Reihe guter englischer Darsteller in Hollywood, die ihre Rollen allerdings wie einen Mantel an- und auszogen. Mit solchen Leuten konnte ich nicht arbeiten. Deshalb habe ich auf neue Gesichter gesetzt.

Welche Ihrer zahlreichen darstellerischen Neuentdeckungen halten Sie für die wichtigste? Marlon Brando? James Dean?

Kazan: Es wird Sie vielleicht wundern: keinen von beiden. Meine persönlichen Favoriten sind Karl Malden und Eli Wallach, die "Baby Doll" (1956) vor der Belanglosigkeit gerettet haben. Es sind eher unscheinbare Typen, aber sie haben das Method Acting nahezu perfektioniert - sie gehören heute noch zu meinen besten Freunden und versuchen mich ständig zu überreden, noch einmal einen Film zu machen. Natürlich ist Marlon Brando auch ein hervorragender Schauspieler. Wir beide haben solange gut zusammengearbeitet, wie er auf meine Ratschläge gehört hat. Seine Darstellung in "On the Waterfront" (1954) ist für mich nach wie vor die beste schauspielerische Leistung eines amerikanischen Akteurs nach dem Zweiten Weltkrieg. Seine autonomen Bestrebungen haben ihn darstellerisch dann eher etwas geschwächt. Jimmy Dean war ein großes Talent, aber ein sehr labiler Mensch, der sich bei Dreharbeiten manchmal wie ein ungezogenes Kind gebärdete. Er wollte in erster Linie von allen geliebt werden. Ein gefährdeter Schauspieler war auch Montgomery Clift: Alkohol- und Drogensucht haben ihn zerstört. Dazu kam, dass er mit seiner Homosexualität nicht zurecht kam. Bei "Wild River" haben wir aber sehr schön zusammengearbeitet, und er erschien - bis auf einmal - nie betrunken am Set. Nebenbei gesagt, die meisten großen Schauspieler sind seelisch zerrissen, aber vielleicht sind sie auf Grund dieser Tatsache in der Lage, besonders auf Bühne und Leinwand zu glänzen.

Es ist wohl ihre Art, mit dem Leben fertig zu werden. Ihren vorherigen Worten entnehme ich, dass Sie "Baby Doll" nicht sonderlich schätzen.

Kazan: "Baby Doll" ist aus heutiger Sicht nur ein Skandalfilm, der durch hervorragende schauspielerische Leistungen erträglich wird. Hiermit schließe ich Carroll Baker, die damals fast noch ein Kind war, natürlich ein. Ich will Ihnen ein Geheimnis verraten: Tennessee Williams mochte sein eigenes Drehbuch nicht besonders. Für ihn war es nur eine Mixtur aus diversen seiner alten Stücke. Obwohl - oder vielleicht gerade - weil er homosexuell war, konnte er sich sehr gut in weibliche Charaktere versetzen.

Haben Sie unter Ihren Filmen einen Favoriten?

Kazan: Da gibt es eine Reihe: "Viva Zapata!" (1951/52), "Wild River" (1960) und "America, America" (1963/64), nicht zuletzt wegen der überwältigenden Musik von Manos Hadjidakis, die orientalische Folklore und okzidentale Walzerseligkeit miteinander verschmilzt.

"America, America" ist Ihr schönster und persönlichster Film. War es schwierig, Hollywood für die Geschichte der Armenier und Griechen, die in den zehner Jahren vor der Unterdrückung durch die Türken fliehen mussten, zu begeistern?

Kazan: Begeistert waren diverse Studiobosse schon. Viele sagten mir, dass sie meinen Roman aus dem Jahr 1961, der Grundlage für das Drehbuch war, sehr schätzten. Nur finanzieren wollten sie "America, America" nicht, also musste ich einen Teil meines eigenen Vermögens locker machen. Obwohl der Film für vier "Oscars" nominiert wurde, haben die Amerikaner nicht viel für ihn getan. In Europa war die Kritiker- und Zuschauerresonanz viel größer. Der Verleih warb nicht unmäßig, er entwickelte sich durch Mundpropaganda in den Kinos zu einer Art Selbstläufer. Ich liebe ihn deshalb so besonders , weil es mir meiner Ansicht nach gelungen ist, in ihm natürlich agierende Menschen zu zeigen, die man sonst im Kino nur selten sieht. Allen voran der Hauptdarsteller Statis Giallelis, der den Charakterwandel des Protagonisten äußerst glaubwürdig machte. Ihm hatte ich damals eine große Karriere prophezeit. Leider wurde daraus nichts, weil er für Hollywoods Verhältnisse zu exotisch und ungestüm in Erscheinung und Wesen war. "America, America" ist übrigens, wie ich finde, von der Kameraarbeit mein gelungenster Film, was dem großen Haskel Wexler zu verdanken ist. Seine Aufnahmen der orientalischen Städte und der zerklüfteten Landschaften des ehemaligen Osmanischen Reiches, die wir fast ausschließlich an Originalschauplätzen drehten, wirken absolut authentisch. Die Atmosphäre am Set war sehr familiär, weil wirklich jeder im Team, von den Schauspielern über die Beleuchter bis zum Best Boy, an die Geschichte dieser qualvollen und dennoch hoffnungsfrohen Odyssee glaubte.

Wie reagierte die türkische Regierung damals auf den Film? Die Türkei hat die historische Tatsache des Völkermords an den Armeniern bis heute nicht eingestanden. Und in den 30er-Jahren kam eine geplante amerikanische Verfilmung von Franz Werfels "Die vierzig Tage des Musa Dagh" auf Grund türkischer Interventionen nicht zustande. Wurde auch auf Sie Druck ausgeübt?

Kazan: Nein, die damalige türkische Regierung hat sich bei der Planung von "America, America" und auch während der Dreharbeiten vollkommen herausgehalten. Auch später hörte ich merkwürdigerweise nichts von ihr. Dafür bekam ich von privater Seite aus der Türkei zwei oder drei Morddrohungen, was ich sehr traurig fand. Wissen Sie, ich bezeichne mich immer als Anatolier und spreche besser Türkisch als Griechisch. Heute habe ich sehr guten Kontakt zu vielen türkischen Jungregisseuren. "America, America" verteufelt die Türken nicht, zeigt aber, welche Ungerechtigkeiten Armeniern und Griechen von türksicher Seite zugefügt worden sind.

In Deutschland will nach 17jähriger Vorbereitung der Regisseur Ottokar Runze das armenische Widerstandsepos realisieren.

Kazan: Ich kenne ihn nicht, aber ich wünsche ihm alles Gute für dieses längst überfällige Unterfangen. Es ist schön, dass gerade in Deutschland solch ein Film entstehen soll, denn die Deutschen, die mit dem Osmanischen Reich im Ersten Weltkrieg stark verbündet waren, haben ja bei den türkischen Massakern an den Armeniern in den Jahren 1915-1918 - wie alle westlichen Staaten - tatenlos zugesehen. Atom Egoyans Film „Ararat“, der mit Charles Aznavour in einer Hauptrolle den Völkermord an Armeniern aus heutiger sicht thematisiert, konnte ich leider noch nicht sehen.

1912 lebten Sie ein Jahr in Berlin, da Ihre Familie eine Geschäftsdependance Ihres Onkels, der eine Teppichreinigung und -färberei betrieb, übernahm.

Kazan: Aus eigener Erinnerung kann ich nicht viel dazu sagen, denn ich war damals erst drei Jahre alt. Mein Onkel Avraam erzählte mir später, dass es eine Schnapsidee gewesen war, sich über den großen Ozean hinaus ausdehnen zu wollen. Sehr bald stellte sich heraus, dass die Berliner einen völlig anderen Geschmack hatten als die Amerikaner. Bedauerlicherweise bevorzugten die Deutschen wohl primitivere Farben und gröbere Textilien. Der Betrieb wurde geschlossen, und wir zogen zu meinem Onkel in die USA.

Können Sie noch Deutsch?

Kazan (auf Deutsch): Guten Tag. Auf Wiedersehen... (um in Englisch fortzufahren) Etwas zu Essen könnte ich mir in einem deutschen Restaurant gerade noch bestellen, aber eine Konversation könnte ich mit Ihnen natürlich nicht führen.

Sie kamen Ende der 30er-Jahre durch den russischen Regisseur Anatole Litvak, der vor den Nazis aus Deutschland über Frankreich nach Amerika geflohen war, zum Film. Hat er Ihre Arbeit beeinflusst?

Kazan: Litvak war gern in Hollywood und hatte immer schöne Frauen an seiner Seite. Auf diese Art und Weise hat er mich beeinflusst. Nein, im Ernst, er war ein großer Stilist und hat Anfang der 50er-Jahre mit dem in Deutschland gedrehten Spionagedrama "Decision before Dawn" (1950) den ersten neorealistischen Hollywood-Film gemacht, was ich sehr bewundert habe. Ich verdanke Litvak einiges: 1940 durfte ich in seinem Film "City for Conquest" eine Nebenrolle als kleiner Gauner mit Herz am rechten Fleck an der Seite von James Cagney spielen, und so kam ich zum Film. Litvak wurde durch meine Theatererfolge auf mich aufmerksam. Stilistisch beeinflussten mich aber eher die Werke eines anderen Russen: der majestätische, aber niemals zu pompös aufgetragene Bilderfluss von Dovschenko.

Warum haben Sie die Schauspielerei zugunsten des Regieberufs aufgegeben?

Kazan: Weil ich gemerkt haben, dass ich als Regisseur mehr Einfluss auf die Gestaltung eines Stoffes nehmen kann (lacht). Meine schauspielerischen Ausflüge hatten sicher auch etwas mit jugendlicher Eitelkeit zu tun. Recht bald merkte ich aber, dass ich niemals James Cagney, Humphrey Bogart oder Edward G. Robinson das Wasser reichen konnte. Auch wenn sie wie ich recht kleinwüchsig waren, hatten sie einfach das gewisse Etwas, eine unwiderstehliche Leinwandpräsenz. Die hatte ich auch, aber eben nur für Nebenrollen. Können Sie sich den großen Schauspieler Elia Kazan vorstellen? Ich jedenfalls nicht. Regisseur entspricht einfach mehr meinen wirklichen Fähigkeiten. So z. B. die gedruckten Gedanken eines Dichters visuell umzusetzen, Leuten beim Spielen zuzuschauen - und sie gegebenenfalls zu korrigieren - und natürlich eigene Stoffe zu inszenieren.

Kommen wir zum "schwarzen Punkt" Ihrer Karriere. 1952, als die Kommunistenhetze McCarthys ihren Höhepunkt erreicht hatte, sagten Sie vor dem House Commitee of Un-American Activities aus. Bereuen Sie das rückblickend?

Kazan: Meine ehrliche Antwort: Nein. Was sollte ich bereuen? Als junger Mensch glaubte ich an den Kommunismus und war in der amerikanischen KP. Doch ich sah, dass der real existierende Sozialismus der Ostblockstaaten die Menschen genauso unterdrückte wie die Nazis. Stalin und Hitler sind für mich beide Verbrecher. Ich trat aus der Partei aus. Als mich das Komitee 1952 befragte, nannte ich nur die Namen der Parteigenossen - teilweise sogar mit deren Zustimmung. Viele Kritiker haben meinen 1954 entstandenen Film "On the Waterfront" als Verteidigung meiner Aussage und meiner Weltanschauung verstanden. Was die Weltanschauung angeht, haben sie recht: Ich habe mich für den Antifaschismus und die Wahrung der Rechte des Individuums engagiert, aber dem Kommunismus habe ich abgeschworen.

Als Ihnen bei der Oscar"-Verleihung im Jahre 1999 der Live Achievement Award überreicht wurde, gab es nicht nur Applaus.

Kazan: Bei der "Oscar"-Verleihung habe ich gesagt, ich könnte die Bühne ebenso gut wieder verlassen, wenn es tatsächlich so vielen unangenehm ist. Schon damals, nach meiner Aussage vor dem HUAC, gab es viele Missverständnisse und gegenseitige Schuldzuweisungen innerhalb der amerikanischen Künstlerschaft, von denen ich natürlich unmittelbar betroffen war. Daraufhin veröffentlichte ich einen ausführlichen Artikel in der "New York Times", der meine Haltung erklären sollte. Ich weiß noch immer nicht, was ich heute hinzufügen sollte. Ich müsste einfach wiederholen, was dort stand: Ich habe mir nichts vorzuwerfen.

Sind Sie eigentlich mit der momentanen US-Regierung zufrieden?

Kazan: Nein, Bush ist ein noch dümmerer und gefährlicherer Affe als sein Vater.

Seit "The Last Tycoon" (1976) haben Sie keinen Film mehr gedreht, sondern "nur" noch neun Bücher geschrieben. Möchten Sie noch einmal einen Film inszenieren? Manoel de Oliveira führte noch mit 90 Regie.

Kazan: Nein. Um Filme zu machen, braucht man Kraft, fast die eines wilden Tieres. Die besitze ich nicht mehr. Ich bin ein bald 94 Jahre alter Mann. Bücherschreiben ist meiner Lebenskraft angemessen. Meine goldenen Jahre in Hollywood sind längst vorüber. Früher gab es noch ein viel stärkeres Berufsethos, sowohl beim Drehstab als auch bei den Schauspielern. Sam Spiegel musste mich 1975 schon überreden, "The Last Tycoon" zu machen, aber ich denke, es hat sich gelohnt. Damals war Robert De Niro noch ein subtiler Menschendarsteller und verkörperte den melancholischen Studioboss sehr überzeugend, aber heute dreht er manchmal zu sehr auf. Von den "Cape Fear"- und "Frankenstein"-Remakes konnte ich nur Ausschnitte sehen, doch die haben mir schon gereicht.

Sehen Sie unter den Regisseuren der Nachfolgegeneration jemanden, der noch Berufethos hat?

Kazan: Ich rede nicht gern über andere Regisseure, aber nicht, weil ich sie nicht schätze. Doch wenn Sie unbedingt wollen, Kubrick schätze ich sehr, weil er Bilder geschaffen hat, die man niemals vergisst. "2001 - A Space Odyssee" und "Dr. Strangelove" gehören zu den herausragenden Meisterwerken der Filmgeschichte, genauso "Barry Lyndon" und "Lolita". "Full Metal Jacket" habe ich leider nicht gesehen, dafür aber seinen nachgelassenen Film "Eyes Wide Shut." Es ist eine große Parabel über die Eifersucht, die dunkle Seite der Liebe. Von der jüngeren Generation mag ich Atom Egoyan und Martin Scorsese am liebsten. Martin hat viel für mich getan, und die Restauration fast aller meiner Filme wurde durch ihn finanziert.

Warum ist ihre Autobiografie nicht in deutscher Sprache erhältlich?

Kazan: Das frage ich Sie! Viele meiner Bücher wurden in Deutschland veröffentlicht, nur dieses nicht. Dabei ist es meine Art von Testament. Wenn sie etwas für mich tun wollen, schreiben Sie das, damit ich hier einen Verleger finde. Denn besser als ich dort geschrieben halte, kann ich es Ihnen jetzt auch nicht erzählen. Dennoch muss ich zugeben: Ich habe in meinem Leben viel Glück gehabt. Ich war sozusagen ein Außenseiter, der stets auf der Sonnenseite des Lebens stand.

Das Interview führte Marc Hairapetian.

Mit Elia Kazan verliert Hollywood einen seiner bedeutendsten Regisseure. Werkgetreue Literaturverfilmungen wie "A Streetcar Named Desire" ("Endstation Sehnsucht", 1951) und "East of Eden" ("Jenseits von Eden", 1955) sowie das autografische Emigranten-Epos "America, America" ("Die Unbezwingbaren", 1963) gehören zu den Meilensteine der Filmkunst. Kaum ein anderer entdeckte und forderte so viele Schauspielertalente wie der am 7. September 1909 in Konstantinopel geborene Cineast, der mit Geburtsnamen Kazanjioglou heißt. Marlon Brando und James Dean wurden unter seinen Fittichen zu Weltstars. Umstritten ist indes Kazans namentliche Preisgabe von Mitgliedern der Kommunistischen Partei an die Untersuchungsbehörden McCarthys in den 50er-Jahren. Bei der "Oscar"-Verleihung im Jahr 1999 gab es anlässlich des ihm zugedachten "Life Achievement Awards" erneute Kontroversen. Bis zuletzt unterhielt er in Manhattan ein Büro, wo er Besuche empfing und per E-Mail mit Freunden und Geschäftspartnern kommunizierte.