„Mental war ich nicht mehr ich, sondern Pocahontas“


Keineswegs im Käfig der Perfektion gefangen: Interview mit „The New World“-Hauptdarstellerin Q’Orianka Kilcher

von Marc Hairapetian

Seit Stanley Kubricks „Barry Lyndon“ (1973 – 75) hat es wohl kaum einen schöneren Film wie Terence Malicks „The New World“ gegeben, Und seit Vivien Leighs Darstellung der Scarlett O’Hara keine auf so betörende Weise charismatische Frauenfigur wie die vom weiblichen Shooting Star Q’orianka Kilcher verkörperte Powhatan-Prinzessin Pocahontas. Die am 11. Februar 1990 im badischen Schweigmait geborene Schauspielerin und Sängerin Q’orianka (was von Quechua ins Deutsche übersetzt „Goldener Adler“ bedeutet), spricht im Interview über die Zusammenarbeit mit Regiegenie Terence Malick („Badlands“, „In der Glut des Südens“, „Der schmale Grat“), berühmte Kollegen, ihre peruanisch-schweizerische-alaskische Abstammung und die wahre Liebe.

Marc Hairapetian: Auf der Berlinale hast du deinen 16. Geburtstag gefeiert und in der Pressekonferenz haben Dir alle ein Ständchen gesungen. Wie wichtig ist Dir Deine multikulturelle Abstammung?

Q’orianka Kilcher: Sehr wichtig. Mein Vater ist ein direkter Abkömmling der Inkas aus Peru. Ich konnte seine Sprache Quechua fließend, als ich noch klein war. Auch spanisch, doch ich habe es verlernt, weil ich meinen Vater, der ständig auf Reisen war, nur selten zu Gesicht bekam. Jetzt will ich Quechua wieder neu erlernen und dafür einige Monate in einem Bergdorf leben. Meine Mutter ist schweizerischer Herkunft, wuchs aber in Alaska auf. Ich selbst bin in Schweigmait geboren und kann immerhin noch ein paar Brocken Deutsch. Lange Zeit lebte ich auf Hawaii und nun wohne ich in Los Angeles. Ich bin stolz, dass ich ein Halbblut, eigentlich ja „Dreiblut“ bin, und hoffe, dass ich von den verschiedenen Völkern das Beste mitbekommen habe. – Mein Geburtstag auf der Berlinale war eine sehr aufregende Erfahrung für mich. Ich habe neben anderen Dingen ein besonderes Öl von meiner Großmutter aus dem Schwarzwald bekommen, doch das schönste Geschenk war die allgemeine Freundlichkeit und das Interesse der Menschen, das mir entgegenschlug.

MaHa: Wie beurteilst Du im nachhinein Deinen Spielfilmerstling „The New World“?

 Q’orianka: Es war mir eine große Ehre, als völlig unbekannte, damals erst 14jährige Debütantin bei der Wiederaufarbeitung der tatsächlichen Geschichte von John Smith und Pocahontas mitmachen zu können. Es war auch eine Reise der Selbsterkenntnis, was meine Schauspielerei betrifft. Regisseur Terence Malick hat mich wunderbar geführt.

MaHa: Die Geschichte von Pocahontas ist mehrfach neu erzählt worden. Wie hat Dir der Disney-Zeichentrickfilm gefallen?

Q’orianka: Der Disney-Film mit seinen sprechenden Waschbären und Bäumen ist großartig für Kinder. Ich habe absolut nichts dagegen, aber er zeigt nicht die wirklichen Ereignisse. Wenn man die Recherche nicht richtig macht, sieht man nicht wie schwer die Geburt einer Nation gewesen ist und was es bedeutet alte Kulturen zu opfern, besonders was die Urbevölkerung Amerikas betrifft, die so viel freiwillig gegeben und so wenig dafür bekommen hat. Und das ist ja bis heute noch bedeutsam, wenn Indianer quasi immer noch mit winzigen Reservaten abgespeist werden. Disney zeigt das alles nicht; es wird vielmehr alles zu einfach und glücklich dargestellt. Wir haben versucht, der Wahrheit näher zu kommen.

MaHa: Regisseur Malick ist bekanntlich Perfektionist. Gab es Situationen, wo dir dies die Arbeit schwer gemacht hat? Was hat er alles von dir gefordert?

Q’orianka: Ich habe keinen Druck gefühlt, perfekt zu sein. Ich bin zum Set gekommen, so wie die anderen Schauspielern auch. Terry war ein wunderbarer Regisseur, denn er hat den Schauspielern erlaubt, künstlerisch frei zu sein. Manchmal kam er mit neuen Drehbuchseiten und Dialogen. Wir hatten uns bereits eingespielt und plötzlich sagte er: „Q’orianka könntest du nicht diese eine Zeile noch mal sagen und alles andere nicht.“ Die Dreharbeiten waren wie eine neue Sprache lernen. Mimik und Körperhaltung waren immens wichtig. Es mag abgedroschen klingen, aber wir haben uns am Set wirklich wie eine Familie bewegt und gefühlt. Ich war keineswegs im Käfig der Perfektion gefangen.

MaHa: Wie war die Zusammenarbeit mit internationalen Filmstars wie Colin Farrell und Christian Bale? Ist Farrell wirklich so ein enfant terrible wie es ihm nachgesagt wird?

Q’orianka: Christian Bale, Colin Farrell, aber auch die anderen, vor allem die Indianerdarsteller, sind im Gegensatz zu mir schon lange im Geschäft. Da zusehen zu können, auch wenn ich nicht in der gleichen Szene spielte, war sehr lehrreich. Christian wirkt in der Tat ruhiger als Colin, doch auch dieser war ohne jegliche Allüren. Ich finde beide sehr charmant und einfühlsam.

MaHa: War es schwierig für dich, die Gefühle von Pocahontas bzw. später Rebecca zu spielen. Konntest du sie als modernes Mädchen indianischer Abstammung selbst nachempfinden?

Q’orianka: Als ich zu den Dreharbeiten in Virginia ankam, da wusste ich nur von den Comics her, wer Pocahontas war. Also musste ich Buch um Buch lesen, habe recherchiert und mich so langsam in die Figur der Pocahontas hineinbegeben. Wenn ich am Set war, war ich mental nicht mehr ich, sondern Pocahontas. Es war dann nicht all zu schwierig, mich im Lauf der Geschichte von der sanften „Wilden“ Pocahontas in die assimilierte Rebecca zu verwandeln.

MaHa: Du warst erfüllt von tiefer Liebe in diesem Film – und hin- und her gerissen zwischen zwei Männern. Für wen hättest Du Dich im wirklichen Leben entschieden? Colin Farrell alias John Smith oder Christian Bale alias John Rolfe?

Q’orianka: Das ist sehr schwierig. Wenn ich als junges Mädchen an Pocahontas bzw. Rebeccas Stelle gewesen wäre, hätte ich mich im Namen der Liebe wohl ebenso für den sensiblen, aber dennoch reiferen Christian Bale anstatt für den schwermütigen Draufgänger Colin Farrell entschieden. Vielleicht hätte ich auch versucht mehr darüber nachzudenken, bevor ich zu Captain Smith ins Fort komme, um meine indianischen Wurzeln hinter mir zu lassen. Aber bei der Liebe hat man ja meist einen blinden Punkt.

MaHa: Deine Pocahontas steht in dem Film für die reine und wahre Liebe. Wie kann man sich da in einen zweiten Mann verlieben?

Q’orianka: Wir sind ja oft angezogen von Freigeistern und Abenteurern, da man bei ihnen nie genau weiß, was geschieht. Das macht es aufregend. Und gleichzeitig ist die wahre Liebe, die dann doch länger andauert, mehr die Figur die Christian Bale als John Rolfe darstellt. Seine Liebe ist sehr selbstlos. Wahrscheinlich ist dies wahrhaftiger und besser. Ich bin mir nicht ganz sicher, denn ich habe das für mich bisher noch nicht selbst so erlebt. Aber eines Tages werde ich auf deine Frage zurückkommen...

Das Interview führte Marc Hairapetian. Das Foto wurde an O’oriankas 16. Geburtstag am 11. Februar 2006 in Berlin aufgenommen.

Q'orianka Kilcher & the SPIRIT