„Ich finde auch Warten schön“
oder
Radikal leben

Von Hölzemann über Schiller zu Greenaway: Interview mit Matthias Schweighöfer

Von Marc Hairapetian

Die deutsche Presse ist voll des Lobes über ihn: „Das Gesicht einer Generation“ oder „Ein Genie betritt die Szene“ heißt es über Matthias Schweighöfer. Bisher gelang dem am 11. März 1981 in Anklam geborenen Sohn eines Schauspieler-Paars der Spagat zwischen Kunst („Baal“) und Kommerz („Soloalbum“), was sich auch in zahlreichen Auszeichnungen niederschlug (u.a. Grimme-Preis 2003 für „Die Freunde der Freunde“). In Hendrik Hölzemanns beachtlichem Debütfilm „Kammerflimmern“ spielt er den traumatisierten Rettungssanitäter Crash, der selbst als Kind bei einem Autounfall seine Eltern verlor und erst durch die Liebe einer nicht von ihm geschwängerten jungen Frau privates Glück anzunehmen weiß. Für diesen Part erhielt er soeben den Bayrischen Filmpreis als bester Nachwuchsschauspieler.

Marc Hairapetian: Sie haben in Ihrer relativ jungen Schauspielerkarriere Mainstream-Kino wie „Soloalbum“ gemacht, aber auch mit renommierten Regisseuren wie Dominik Graf gearbeitet. Welchen Stellenwert hat „Kammerflimmern“, der Debütfilm des Jungregisseurs Hendrik Hölzemann, für Sie?

Matthias Schweighöfer: In „Kammerflimmern“ steckt lange Vorbereitung, viel Arbeit und vor allem Herzblut. Der Film ist nicht gängige Ware,. Er ist keine Kopie von irgendeinem anderen Vorläufer. Es ist ein guter Debütfilm mit eigener Handschrift – und so lange Filme eine Handschrift haben, bin ich froh, ein Teil von Ihnen zu sein. Deswegen hat er für mich einen genauso hohen Stellenwert wie „Die Freunde der Freunde“, „Baal“ oder Soloalbum.

MaHa: Wie kam der Kontakt zu Hölzemann zustande?

Schweighöfer: Ich hatte gerade für die Bavaria „Die Klasse von 99“ gedreht, als mir Hendrik das Drehbuch zu „Kammerflimmern“ zu lesen gab. Ich war begeistert – es zeugte von beachtlicher Reife, die man eigentlich noch nicht von einem so jungen Menschen erwartet. Wir haben uns dann auf der Berlinale getroffen und lange miteinander geredet. Jessica Schwarz und ich waren gerade in der Vorbereitung zu Dominik Grafs „Kalter Frühling“. Bei einer Art Casting für „Kammerflimmern“ waren wir bereits aufeinander eingespielt – und bekamen auch hier die Möglichkeit, gemeinsam zu arbeiten.

MaHa: Sie standen bei „Kammerflimmern“ in der Tat schon das dritte Mal mit Jessica Schwarz vor der Kamera. Arbeiten Sie bald mehr mit ihr zusammen als ihr Lebenspartner Daniel Brühl?

Schweighöfer: Daniel Brühl arbeitet mit ihr mehr zusammen, denn er muss ja auch die Küche putzen. Darstellerisch habe ich zur Zeit die Gunst, häufig mit Jessica Schwarz zu spielen. Ich schätze sie wirklich sehr und freue mich auf weitere Filme mit ihr.

MaHa: Sind Sie beiden das neue Traumpaar des Deutschen Films nach Ruth Leuwerik und Dieter Borsche...?

Schweighöfer (denkt nach): Ich glaube, wir sind nicht wirklich ein Traumpaar.

MaHa: Sie verkündet dies aber im Presseheft zu „Kammerflimmern“.

Schweighöfer: Wenn Jessi das so meint, stimme ich ihr selbstverständlich bei (lacht). Sie ist die Frau und hat auch oftmals die Hosen an, dann ist das ganz gut, wenn ich mich unterordne und meiner lieben Freundin Jessica Schwarz als solidarischer Mensch beipflichte.

MaHa: Sie bezeichnen sich als „schauspielerischen Überzeugungstäter“, der sich mit Leib und Seele einer Rolle verschreibt. Konnten Sie sich auch mit der Rolle des traumatisierten Rettungssanitäters Crash identifizieren?

Schweighöfer: Ich konnte mich mit der Figur in dem Beruf, aber nicht mit dem Beruf an sich identifizieren. Ich fuhr lange Nachtschichten im Auto wirklicher Sanitäter mit. So bedingungslos zu helfen, wie diese Menschen, das könnte ich nicht. Bei diesen Einsätzen begegnest du ganz vielen Leuten, die du sonst nicht siehst, die beispielsweise am Existenzminimum leben. Der Tod ist hier ein normaler Umgang.

MaHa: Hat sich dadurch etwas für Sie verändert? Wie sehen Sie jetzt den Tod?

Schweighöfer: Seitdem ich „Kammerflimmern“ gedreht habe, ist der Tod auch anders für mich. Der Tod kommt so oder so, bloß wann ist die Frage. Der Film hat mir selbst vor Augen geführt, mit wie vielen unnötigen Problemen man sich sonst so den lieben langen Tag belastet. Sanitäter müssen ihre eigene Probleme ausgrenzen, wenn sie im Einsatz sind. Ein Schauspieler sollte das zwar auch, aber es gelingt einem nicht immer. Man kann es ja im Wortsinn „überspielen“.

MaHa: Das Ende des Films bleibt offen: Während nach einem Unfall mit dem Rettungswagen die von Jessica Schwarz verkörperte November ein gesundes Kind zur Welt bringt, ist nicht sicher, ob Crash den Crash tatsächlich überlebt. Blutüberströmt fährt er mit seinem Skateboard die Fahrbahn entlang, bis er plötzlich seinen eigenen Herzschlag hört. Ist es nur das Delirium eines Sterbenden oder die Rückkehr ins reale Leben?

Schweighöfer: Ich habe den Schluss nie interpretiert, auch nicht mal beim Spielen, weil ich das Ende immer offen lassen wollte für mein ganz persönliches Wunschende.

MaHa: Und das wäre?

Schweighöfer: Das verrate ich nicht, da ich es auch damals nicht tat. Aber das Ende wie es jetzt ist, entspricht genau dem, was sich jeder wirklich erhofft, denn jeder interpretiert es anders - und dadurch ist es auch wirklich eine schöne vorletzte Seite.

MaHa: Ist es für Sie schwierig, Gedankengänge körperlich darzustellen?

Schweighöfer: Manchmal ja, manchmal nein. Als Schauspieler musst du zu dem Punkt kommen, wo die Zuschauer, die Figur glaubhaft finden. Also muss ich sie auch mir gegenüber aufrichtig gestalten. Bei einer introvertierten Figur wie Crash, der selbst früh seine Eltern bei einem Unfall verlor, versuche ich mich herunter zu pegeln und in seine möglichen Gedankengänge hineinzuversetzen. Gelingt mir dies, wird es mir vielleicht auch der Zuschauer im Gesicht ansehen, was Crash gerade denkt.

MaHa: Viele junge Kollegen klagen über die ständige Warterei am Set bis man an der Reihe ist. Auch Sie?

Schweighöfer: Ich finde auch Warten schön und gucke anderen gerne zu.

MaHa: Lernen sie noch viel von alten Kollegen?

Schweighöfer: Natürlich, im Zweifelsfall aber auch nicht so zu werden wie manche von ihnen.

MaHa: Sie sind in Anklam zu DDR-Zeiten geboren. Sehen Sie 2005 noch Unterschiede zwischen Ost- und West-Schauspielern?

Schweighöfer: Ich habe ja nur acht Jahre im Osten gelebt – und bin mit westlichen Filmen wie denen von Truffaut, Chabrol und Scorsese aufgewachsen. Filmegucken ist eine Leidenschaft für mich, aber heute auch wie Hausaufgaben machen. Große Unterschiede zwischen Schauspielern aus Ost und West sehe ich nicht, höchstens, das die Leute im Osten eine andere Mauer hinter sich hatten und andere Geschichten – filmisch – erzählen konnten. Das sollte man nicht vergessen – und das werde ich auch nicht vergessen.

MaHa: Überwiegt der Stolz bei Ihren Schauspieler-Eltern, dass ihr Sprössling berühmter ist als sie, oder haben sie damit auch Probleme?

Schweighöfer: Wir kritisieren und loben uns gegenseitig. Natürlich gibt es auch manchmal Eifersüchteleien, wie in fast jeder Familie. Wichtig ist, dass wir uns gegenseitig Freiräume lassen.

MaHa: Was möchten Sie dem Publikum vermitteln?

Schweighöfer: Ich würde mich freuen, wenn sich die Zuschauer durch mich in einem Spiegel sehen und Gefühle wieder finden könnten, die sie lange nicht mehr gespürt haben. Die Schauspielerei gibt mir die Möglichkeit, mich ausdrücken wie ich es nicht sonst nicht könnte und auch nicht dürfte. Diese Radikalität zu leben ist ein Geschenk für mich.

MaHa: Nicht nur mit Jessica Schwarz und Dominik Graf verbindet Sie ein intensives Arbeitsverhältnis, sondern auch mit „Kammerflimmern“-Regisseur und –Drehbuchautor Hölzemann, der auch für Ihren nächsten Film„Schiller“ als Koautor fungierte.

Schweighöfer: Die Idee, „Schiller“ gemeinsam zu machen, entstand beim Abschlussfest zu „Kammerflimmern“. Wir haben noch viel miteinander vor, weil wir uns intellektuell auf einer Ebene befinden.

MaHa: Haben Sie sich zur Vorbereitung auch „Friedrich Schiller – Triumph eines deutschen Genies“ mit Horst Caspar angesehen? Dessen Darstellung des Dichterfürsten war in Kriegszeiten regelrecht ein subversives Pamphlet gegen den Nationalsozialismus.

Schweighöfer: Was Horst Caspar da gespielt hat, finde ich bei aller Bewunderung für ihn, die vollkommene Fehlinterpretation eines Schillers. Schiller war kein Nationalmann, war kein politischer Verfechter. Allein die Szene, als Horst Caspar bei der „Räuber“-Premiere ist, das Publikum klatscht und er als der Autor des Stücks aufsteht und sich repräsentiert, zeigt, das er Schiller nicht begriffen hat. Schiller war doch immer der absolute Pessimist gegenüber seinen eigenen Werken. Er sagte immer, dass es alle anderen Schauspieler gar nicht spielen könnten. Er müsste es eher selber machen. Nach allem, was ich in der Deutschen Staatsbibliothek gelesen habe, wird immer der Fehler gemacht, Schiller als Schönheitsideal aufzubauschen. Schiller war aber in Wirklichkeit dreckig und verkommen, körperlich krank und innerlich tot, schlicht, eine kaputte Seele.

MaHa: Dennoch trat er für das Wahre, Schöne und Gute ein. Wollten Sie diese Diskrepanz herausarbeiten?

Schweighöfer: Absolut. Der Regisseur wollte es so haben. Ich hoffe, es hat funktioniert. Wir hatten die ähnliche Szene der Verbeugung, nur, dass bei uns Schiller sofort das Theater verlassen hat. Er tat dies nicht, weil die Schauspieler es nicht richtig gespielt hatten, sondern weil er „Die Räuber“ nochmals umschreiben wollte.

MaHa: „Schiller“ ist ein Fernsehfilm. Glauben Sie, dass er es ins Kino schaffen wird?

Schweighöfer: Ich hoffe, dass er in die Kinos kommt, aber er wird es nicht tun, weil der Film zuviel Redaktion hatte, die ihn unbedingt ins Fernsehen bringen wollte. Wir drehten an Originalschauplätzen von September bis November letzten Jahres. Das Budget lag bei 2,3 Millionen Euro, was also wirklich nicht ausreichend viel ist. „Haifischalarm auf Mallorca“ hat dagegen 6,9 Millionen gekostet. Aber das ist eine andere Geschichte. Wir laufen am 4. Mai an einem Mittwoch und brauchen wirklich jeden Zuschauer, den wir kriegen können, weil wir bestimmt Fußball gegen uns haben werden. Bei Champions League Real Madrid gegen Bayern München sehe ich schlechte Chancen für uns.

MaHa: Wie nah ist Ihnen Schiller heute?

Schweighöfer: Schon sehr nah, weil ich Schiller durch meine Rolle als Mensch kennen lernen und auch verstehen durfte. Was Familie, Selbstmalträtierung, Verpflichtung zum Beruf und besonders Liebe angeht, da war er schon ein harter Zahn, der Herr Kollge. Da haben wir – ohne hochgestochen daherreden zu wollen – schon gemeinsame Schnittpunkte. Schiller ist Rock ‚n’ Roll und Goethe ist Pop. Ich mag lieber Rock ‚n’ Roll.

MaHa: Und wie sieht es mit dem Kotzbrocken in Menschengestalt Baal in der gleichnamigen modernisierten Verfilmung des Brecht-Stücks aus?

Schweighöfer: Die Figur war schon weit sehr weit weg von mir. Dennoch habe ich alles gegeben. Der Film ist zwiespältig– und das soll er auch sein.

MaHa: Baal, der Künstler als Punk oder der Punk als Künstler, hat Ihnen immerhin eine Rolle bei Peter Greenaway verschafft.

Schweighöfer: Peter hat „Baal“ gesehen und fand ihn sensationell. Er rief aus Amsterdam an und hat gefragt, ob wir zusammen „Gold“ machen wollen. Ich sah in ihm immer einen tollen Maler des Kinos und dachte mir gleich: „Hier wird nicht groß diskutiert, ich sage gleich zu.“ Nach „Schiller“ kam ich an sein Set, und er sagte zu mir. „So, Matthias, ich möchte das Du die Hauptrolle spielst.“ Und dann ging es los. Wir fingen bereits im letzten Jahr mit dem Drehen an – und machen in diesem Jahr weiter. Ich weiß ehrlich gesagt nicht genau, was er vorhat. Er ändert immer wieder seine Meinung. Das geht ja bei ihm rasend schnell. Aber es wird bestimmt eine schöne multimediale Arbeit, die ins Kino kommen und auch auf DVD erscheinen soll.

MaHa: Wie gehen Sie mit frühem Ruhm um?

Schweighöfer: Ruhm kommt ja immer aus einem gewissen Ziel heraus, was man verfolgt. Gerühmt wirst du von anderen Leuten. Man selber traut sich nur Ziele zu, die aus dem einfachen Leben entstehen. Es gibt für mich Familie und Zweitfamilie, was Freunde und Arbeitskollegen betrifft. Die holen einen auf den Erdboden zurück, wenn man droht, abzuheben. Du brauchst nicht Leute, die dich anhimmeln, sondern dir ehrlich sagen: „Auf ein Salamibrötchen gehört auch noch Butter.“ Solange das funktioniert, weißt Du immer noch, wo Du herkommst und wo Du hinmusst. Deswegen ist früher Ruhm einigermaßen umgänglich. Es gibt Ruhm, es gibt die Öffentlichkeit, aber man geht wieder zurück in seine private Grenze, in der man sehr zu kämpfen hat und auch leben muss.

MaHa: Wo wollen Sie als Schauspieler noch hin?

Schweighöfer: Das Geschichten erzählen soll nicht aufhören. Ich würde mich freuen, wenn ich die Chance erhalten oder mir erarbeiten würde, mit Geschichten in diesem Land über dieses Land viele Zuschauer zu bekommen und auch diese Geschichten über die Landesgrenzen zu schicken.

Das Gespräch führte Marc Hairapetian am 24. Januar 2005 im Berliner Café Anna Blume.

 Bei Eichborn Lido ist soeben die CD „Matthias Schweighöfer liest Bertold Brecht: Baal (Monologfassung)“ erschienen.