Der gesamtdeutsche Winnetou

RTL bringt einen aufwändigen neuen Karl-May-Dreiteiler zum Weihnachtsfest

von Marc Hairapetian

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Größere Ansicht anzeigen Nscho-tschi Iazua Larios & THE SPIRIT aka Marc Hairapetian feierten zusammen bei der "Winnetou"-Preview im Delphi Filmpalast (Berlin, 14. Dezember 2016, Foto: Heiko Lehmann für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM)

Winnetou ist auferstanden! Und das auch noch zu Weihnachten! Diese frohe Botschaft wird ausge-rechnet durch den für sein Trash-TV berühmt-berüchtigten Privatsender RTL verkündet, der "Win-netou: Eine neue Welt", den ersten Teil der wieder einmal sehr frei an Karl May (1842 - 1912) orien-tierten Saga, am 25. Dezember um 20.15 Uhr ausstrahlt. Die Fortsetzungen "Winnetou: Das Ge-heimnis vom Silbersee" und "Winnetou: Der letzte Kampf" folgen im Zwei-Tage-Abstand am 27. und 29. Dezember. Doch ist auch Winnetou drin, wo Winnetou draufsteht?
 Bei der auf Remakes spezialisierten Rat Pack Filmproduktion ("Das Haus der Krokodile", "Jerry Cotton"), die unbeirrbar ihre liebsten Kindheitserinnerungen als Real-Filme auf die große Leinwand (für März 2018 ist gar "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" angekündigt) bringt, ist einiges anders geworden, als es vielleicht eingefleischte Hardcore-May-Fans erhofft haben, dennoch bleibt man in vielem dem sächsischen Dichter treu. Vor allem was sein Anliegen von Brüderlichkeit, Nächstenliebe und Friedfertigkeit anbelangt.
 Mit der Rialto Film, die in den 1960er Jahren die legendären Winnetou-Streifen herstellte, setzte man zumindest auf einen Co-Partner mit Tradition, etwas was RTL verständlicher Weise abhanden geht. Dennoch ist Regisseur Philipp Stölzl, der mit "Nordwand", "Goethe!" und "Der Medicus" schon so manchen geschichtsträchtigen Stoff vorsichtig modernisiert hat, voll des Lobes über die Zu-sammenarbeit: "Sie ließen uns ein sehr erwachsenes Fernsehprogramm machen, das bewusst gar nicht so ein Popspektakel sein will."
 Nach dem die Zuschauerzahlen von "Deutschland 83" nicht wie erhofft waren, nun also auf ein Neues mit Winnetou! Gedreht wurde wieder nicht in den USA, sondern wie schon früher in Kroa-tien. Der großartige Soundtrack von Martin Böttcher wurde von Komponist Heiko Maile nicht im-mer gelungen "recycelt". Es gibt weniger Cowboy- und Indianer(-Statisten) als fünf Jahrzehnte zu-vor. Das Besserwissertum und der religiöse Bekehrungseifer von May sind (zum Glück) weggefal-len. Sein Alter ego Old Shatterhand wird von Wotan Wilke Möhring nicht so heldenhaft dargestellt wie einst von Lex Barker, sondern eher anrührend, aber in jedem Fall hochsympathisch.
 Ganz anders Winnetou: Der Albaner Nik Xhelillaj ist durch besonders Training und eine strenge Diät viel muskulöser als Pierre Brice, der kurz vor seinem Tod Stölzl in einem Brief alles Gute für die Dreharbeiten wünschte. Die himmelwärts gerichtete, reine Aura des Franzosen fehlt ihm. Er wird erst im Lauf der sechs Filmstunden vom virilen Krieger zum glühenden Pazifisten.
 Eigentlich war Brice noch für die Rolle eines uralten Schamanen vorgesehen. In gewisser Weise hat diesen Part nun seine (Roman- und Film-)Schwester Nscho-tschi übernommen, die von der bildhübschen Mexikanerin Iazua Larios ("Apocalypto") sehr selbstbewusst verkörpert wird. Ihre Vor-läuferin Marie Versini ist mit einem kleinen Auftritt auch wieder dabei, ebenso Mario Adorf, der nun den Vater des von "Burgtheater"-Akteur Michael Maertens pointiert verkörperten Oberschurken Santer mimt. Und natürlich Gojko Mitic , der mit 76 Jahren athletisch wie eh und je, Winnetous wei-sen Vater Intschu tschuna spielt. Er ist der einzige Star, der sowohl in den westdeutschen Karl-May-Filmen als auch in den mehr gesellschaftskritischen Indianer-Streifen der DEFA mitwirkte.
 Kapitalismuskritik gibt es im gesamtdeutschen Winnetou aber durch den durch das Gebiet der Apachen führenden Eisenbahnbau anno 2016 ebenfalls. Wenn Drehbuchautor Jan Berger dem verzweifelten Old Shatterhand, der die weißen Gleisbauarbeiter und Siedler mit ihren modernen Feuerwaffen vor einem Massaker an den Roten abbringen will, den Satz "Das ist Völkermord!" herausschreien lässt, geht er im Feuereifer etymologisch allerdings zu weit. Den Begriff gab es es im Wilden Westen des Jahres 1860 nämlich noch nicht.

Marc Hairapetian am 21. Dezember 2016 für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-ein-laecheln-im-sturm.de / www.spirit-fanzine.de / www.spirit-fanzine.com

RTL-Winnetou-Seite winnetou2016.rtl.de/#!/trailer

Größere Ansicht anzeigen Old Shatterhand Wotan Wilke Möhring & Winnetou Nik Xhelilaj (Foto: RTL)