Vagram Ekavyan

Per aspera ad astra - Komitas-Festival auf Schloss Prötzel

Erst musizieren, dann diskutieren: Armenische Musik im idyllischen Brandenburg wider des Vergessens

von Marc Hairapetian

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Größere Ansicht anzeigen „Wer nichts wagt, der nichts gewinnt“, lautet ein deutsches Sprichwort. „Man sollte verzeihen, aber nie vergessen“, ein armenischer Ausspruch. Beim „Ersten Internationalen Komitas-Festival für klassische Musik“, dass der Popularisierung dieses genialen Künstlers dienen soll, der kompositorisch auf einer Stufe mit Bach oder Beethoven steht, (was außerhalb seiner Heimat aber leider bisher nur Experten bewusst ist), sind diese beiden Sätze miteinander untrennbar verknüpft.

Doch der Reihe nach: Komitas Vardapet, geboren am 26. September oder (!) 8. Oktober 1869 in Kütahya im Osmanischen Reich, gestorben am 22. Oktober 1935 im Pariser Exil, war ein armenischer Priester, Komponist, Sänger, Chormusiker, Musikpädagoge, Musikethnologe und Musikwissenschaftler. So rätselhaft wie sein eigentliches Geburtsdatum, so rätselhaft, ist auch das, was sich wirklich in seiner Seele abspielte. Doch Teile davon wurden in Form eines Liedguts zutage gefördert, dass zu dem Schönsten gehört, was die Welt bisher gehört hat. Als Soghomon Gevorki Soghomonian geboren, taufte man ihn gemäß kirchlicher Tradition nach Abschluss seines Mönchsstudiums 1893 neu auf den Namen Komitas, welcher sich auf einen gleichnamigen Hymnendichter aus dem 7. Jahrhundert bezieht. Nach einem Stipendium in Tiflis und zwei weiteren Studien am Privatkonservatorium von Richard Schmidt und an der Friedrich-Wilhelm-Universität mit den Schwerpunkten Musiktheorie und Ästhetik in Berlin, kehrte der Doktor der Musikwissenschaft 1899 nach Etschmiadsin, dem Sitz des Oberhaupts der armenisch-apostolischen Kirche zurück. Produktive Jahre folgten. Am 24. April 1915, dem Tag des Schreckens, der den staatlich organisierten Völkermord an den Armeniern durch die Türken im Osmanischen Reich einläutete, wurde Komitas in Konstantinopel mit einigen Hundert weiteren armenischen Intellektuellen verhaftet und östlich von Ankara deportiert. Fast alle der Verschleppten ermordete man, lediglich acht durften nach Anordnung des Innenministers Talaat Pasha, dem Hauptverantwortlichen für den Genozid, zurückkehren. Unter ihnen war Komitas. Der US-Botschafter Henry Morgenthau und der Dichter Mehmet Emin Yurdakul intervenierten für den großen Künstler. Er fand bei seiner Heimkehr seine persönlichen Arbeitsunterlagen verwüstet vor, seine kostbare Sammlung von Liedner war zerstört. Komitas‘ Seele war zerbrochen. Von dem am eigenen Leib erlebten Grauen konnte er sich nie wieder erholen. Nachdem er aufgrund seines zunehmend verschlechterten psychischen Zustands von Freunden in ein türkisches Militärhospital eingeliefert worden war, wurde er von 1919 - 1922 in die französische Privatklinik in Ville-Evrad untergebracht. Danach lebte er bis zu seinem Tod vollkommen zurückgezogen in der psychiatrischen Klinik von Villejuif. Seine sterblichen Überreste kamen anschließend nach Jerewan, wo sie im Pantheon bestattet wurden. So wie der Dichter Hugo von Hofmannsthal einst eine Schreibkrise hatte und die Worte nicht mehr fand, so konnte Komitas nicht mehr komponieren... „Per aspera ad astra“ (lateinisch: „Durch das Raue zu den Sternen“) - auf keinen Komponisten trifft Senecas Redewendung so zu wie auf Komitas. Immer wieder waren (und sind) es die sensiblen Seelen, die sich das Leid der Welt zu Herzen nehmen und daran zugrunde gehen, welche es schaffen, unvergessliche Sternstunden in der Kunst zu kreieren. Gerade ihre innere Zerrissenheit befähigt sie zu genialen Taten. Man denke beispielsweise an den österreichischen Schauspieler Oskar Werner (13. 11. 1922 - 23. 10. 1984), der auf der Bühne des Burgtheaters („Don Karlos“, „Becket oder Die Ehre Gottes“) und im internationalen Film („Jules et Jim“, Ship of Fools“) für Furore sorgte. Er konnte seine Stimme wie ein kostbares Musikinstrument einsetzen, wenn er sprach. Der Holocaust und Gedichte gegen den Krieg waren häufig Themen seiner Matineen und Rezitationsabende. An seiner manischen Depressivität zerbrach der „Unbestechliche“, der über 300 lukrative Hollywoodangebote aus „Verrat am künstlerischen Geschmack“ ablehnte. Komitas war nicht minder selbstzerstörerisch, doch der Nachwelt bleiben seine Kompositionen wie die Lieder „Kele-kele“ („Schreite auf und ab“), „Krunk“ (“Der Kranich“), die Hymne auf „Hayastan“ („Armenien“) und seine Liturgie.

Größere Ansicht anzeigen Für Vagram Ekavyan ist der Name Komitas ein „Symbol, nicht nur für unser Festival, sondern für das Wesen des gesamten armenische Volkes“. Und wahrhaft auch eine Metapher für seine Begabungen und seine Tragödien. „Rock Vagram“ ist ein inzwischen vergriffener Roman von William Saroyan (31. August 1908 - 18. Mai 1981). In ihm wird ein armenischer Einwanderer zum Hollywood-Helden wider Willen. Vagram Ekavyan (50), Architekt und Kulturmäzen, mit Wohnsitzen in Jerewan, Moskau und Berlin hat seine eigene Auffassung von Heldenmut. „Ein Held ist jemand, der mit seiner Hand die defekten Kabel der Stromanlage aufrecht erhält, damit unser Komitas-Festival versorgt ist. Ein Held ist jemand, der sich die Nächte um die Ohren haut, um einen Artikel darüber zu schreiben, mag er auch kritisch sein“ “ Vagram Ekavyan, der zusammen mit seinem Bruder Aram vor einigen Jahren Tom Cruise das idyllisch gelegene, 1712 erbaute und ungefähr 40 Fahrminuten von Berlin entfernte Barockschloss Prötzl vor der Nase weg kaufte, scheute selbst keine Kosten und Mühen, um das „Erste Internationale Komitas-Festival für klassische Musik“ auf die Beine zu stellen. Und dies in der Diaspora, denn seit dem Völkermord sind die Armenier rund um den Globus verteilt. Nur die Hälfte der circa sieben Millionen Armenier lebt in der seit 1991 wieder unabhängigen ehemaligen Republik der UdSSR. Die Elite des armenischen Musikbetriebs Musikliebhaber Ekavyan ein, ob alt, ob jung: Der Vorsitzende des Komponistenverbandes der Republik Armenien und Schöpfer zahlreicher Filmmusiken Maestro Prof. Robert Amirkhanyan war ebenso zu Gast wie Mezzosopranistin Anna Mayilyan, die Pianistin Prof. Marina Abrahamyan oder die Popmusikerin E. V. A. Voskanyan, die sich diesmal selbst auf dem Klavier begleitete. Sie musizierten zu hochsommerlichen Temperaturen vom 5. bis 7. August im Großen Saal des Schlosses, aber auch im Schlosspark mit Ausblick aufs Wasser. Vagram Ekavyan rief mit seinem Mitstreitern sogar einen Wettbewerb mit einem Preisgeld in Höhe von 20.000 Euro aus. In einer Zeit, wo es nur noch Sponsoren und kaum mehr Mäzene gibt, ist das eine wohltuende Ausnahme. Natürlich ist Ekavyan auch ein cleverer Geschäftsmann, der nichts gegen Investoren hat. Aber er hat ein gutes Herz und eine künstlerische Ader, die ihn nicht warten lässt, bis diese gefunden sind.

Größere Ansicht anzeigen Für das erste Festival seiner Art waren die Besucherzahlen an den drei Tagen ordentlich bis gut. Das Wetter angenehm bis ausgezeichnet. Einige organisatorische Schwierigkeiten (die Soundanlage transportierte bei Freiluftveranstaltungen nicht immer zufriedenstellend die Klangfülle des Orchesters, die Reihenfolge der Auftretenden musste ab und an kurzfristig geändert werden, zu Beginn gab es kein Gratis-Catering für Ehrengäste, die Pressearbeit ist verbesserungswürdig) wird man im nächsten Jahr in den Griff bekommen. An den typisch armenischen Zeitverzögerungen störte sich das illustre und durchaus internationale Publikum ohnehin nicht. Ansonsten wurde einem viel geboten, vor allem qualitativ hochwertige Musik von der polnischen Filharmonia Szczecin und den vorderrangig armenischen Solisten. Lediglich Aram Chatschaturjans berühmter „Säbeltanz“ aus dem Ballettt „Gajaneh“ interpretierte man viel zu gemütlich - da hätte Dirigent Prof. Thomas Buchholzs seine Musiker mehr anfeuern müssen. Allerdings hatte er auch nur wenig Zeit zum Proben. Während die zwischen Frenetik und Elegie stets lavierenden Musik des wohl bekanntesten armenischen Komponisten, den mein Vater in den 1970er Jahren bei seinen Deutschland-Gastspielen als Mitbegründer des armenischen Kulturvereins Frankfurt/Main begleitete, suboptimal erschall, wurden die Höhepunkte woanders gesetzt: Der lieblichen Tanzmusik (!) des vielseitigen Komitas begleiteten die temperamentvolle Anna Mayilyan gesanglich und das Publikums durch rhythmisches Klatschen. Zum erste Mal auch außerhalb Armeniens ertönte Arno Babadschanjans „Nocturne für Klavier und sinfonisches Jazzemsemble“, bei der Solistin Marina Abrahayan genauso glänzte wie zwei Tage später bei Beethovens Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4. Zwischen den armenischen Stücken setzte der Veranstalter ferner auf Tschaikowski, Mozart und Bizet. Talentiert auch Sopranistin Arpine Oganyan, die Armen Tigranjans Arie der Anush aus der gleichnamigen Oper zum Besten gab. Zum ersten Mal wurde übrigens auf deutschem Boden Eduard Mirsojans „Introduktion und Perpetuum mobile für Violine und Orchester“ live gespielt. Ein gelungener Abschluss war die „Jerewaner Rhapsodie“, bei der es sich Robert Amirkhanyan nicht nehmen liess, sich selbst ans Klavier zu setzen. Neben den mitunter mitreißenden Auftritten, wo so manches junge Genie gesichtet beziehungsweise gehört wurde, und den pyrotechnischen Lichtspielereien direkt an der Fassade des Schlosses wird vor allem die Happening artige Atmosphäre, bei der Künstler und Organisatoren mit den anderen Besuchern ins Gespräch kamen und SPIRIT-EIN-LÄCHELN-IM-STURM-Redaktionshund und Frauenliebling Felix die Herzen im Sturm eroberte, in Erinnerung bleiben. Besonderer Dank gebührt - so muss man es tatsächlich formulieren -, Vagram Ekavyan dafür, dass er am Sonntag, die Armenische Heilige Messe zelebrieren liess - und dafür sogar ein extra für diesen Anlass gedrucktes Gebetbuch (armenisch mit deutscher Übersetzung) umsonst verteilen liess. Die Liturgie sang der renommierte Frauenchor „S. Ghegard“ unter Leitung von Mher Navoyan. Armenien ist bekanntlich der erste christliche Staat der Welt (301 n. Chr.) - un da da wird auch bei kulturellen Großveranstaltungen die Messe gelesen.

Größere Ansicht anzeigen Da auch der eine oder andere Politiker aus dem Bundesland Brandenburg gesichtet wurde und seine tatkräftige Unterstützung von der Konzertbühne verlauten liess, soll und wird im nächsten Jahr alles noch schöner und besser werden. So ist ein Gedichtwettbewerb in armenischer und deutscher Sprache geplant. Es wäre also nicht verwunderlich, wenn es 2012 beim Komitas-Festival eine Oskar-Werner-Medaille für die beste Rezitation geben sollte. Bad Hersfeld und Bregenz bekommen bald Konkurrenz - und irgendwann vielleicht die Salzburger Festspiele... Weitere hochkarätige Ehrengäste sind im Gespräch: Cher, Kim Kardashian und Charles Aznavour, die allesamt als Kosmopoliten sehr stolz auf ihre armenische Herkunft sind. Denn die Jury soll künftig mit armenischen Künstlern nicht nur aus der Republik Armenien, sondern den verschiedensten Ländern besetzt werden. Der wie alle Armenier überaus gastfreundliche Vagram Ekavyan („Mein Haus ist dein Haus!“) und seine Gefährten wollen nicht nur den bereits bestehenden kulturellen Kontakt zwischen Armenien und Deutschland ausbauen, sondern auch das Konzertprogramm erweitern. So würde man gerne renommierte und begabte türkische Musiker einladen. Der Schlossherr glaubt ohnehin nicht an eine türkische Kollektivschuld: „Die junge Generation ist unschuldig. Sie kann nichts dafür, was ihre Vorfahren verbrochen haben.“ Also heisst es: Erst musizieren, dann diskutieren. Die Zeichen stehen auch in Prötzl auf Versöhnung, denn wie hiess es eingangs: „Man sollte verzeihen, aber nicht vergessen“.

Protokoll des Wettbewerbs


Marc Hairapetian (SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de)

weitere Infos unter:www.komitas-festival.de

Unsere Fotos zeigen:

Komitas (Archiv Hairapetian)

Felix auf dem Weg nach Prötzel (7. August 2011, Foto: Heiko Lehmann für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de)

Marc Hairapetian und Vagram Ekavyan (Schloss Prötzel, 7. August 2011, Foto: Heiko Lehmann für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de)

THE SPIRIT, Felix und Arpine Oganyan (Schloss Prötzel, 7. August 2011, Foto: Heiko Lehmann für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de)

Ein Lächeln im Sturm bevor sie auf die Bühne geht: THE SPIRIT im Gespräch mit Nadima Kombajian vom „S. Gherard“ (Schloss Prötzel, 7. August 2011, Foto: Heiko Lehmann für SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de)